Mehr Elternzeit für Kinder und trotzdem sichere Renten?
– Zwischen Durchhalteparolen und Abschied von Illusionen
HBF-Infodienst AKTUELL Tübingen, 31. Januar 2014
Beim Streit um die Kosten des schwarz-roten Rentenpakets (vgl. z.B. HBF 29.01.14) beruhigen Regierung und Gewerkschaften die Öffentlichkeit unisono mit dem Verweis auf Deutschlands wirtschaftliche Erfolge, die es für
die Zukunft nur fortzuschreiben gelte (HPL).
Gleichzeitig locken Bundesfamilienministerin Manuela (SPD) und die IG-Metall mit ihren Visionen von der gemeinsamen Teilzeitarbeit für Eltern (vgl. HBF 2014b und HBF 2014c). Neben der Kritik von Seiten der üblichen Verdächtigen (HPL) wachsen jedoch auch die Zweifel bei den eigentlich Begünstigten (HPL). Am Ende steht die offene Ratlosigkeit (HPL), die sich die politischen Akteure (noch) nicht leisten können.
Beim Streit um die Kosten des schwarz-roten Rentenpakets (vgl. z.B. HBF 29.01.14) beruhigen Regierung und Gewerkschaften die Öffentlichkeit unisono mit dem Verweis auf Deutschlands wirtschaftliche Erfolge, die es für die Zukunft nur fortzuschreiben gelte:
DGB begrüßt Rentenpaket
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) begrüßt den heutigen Beschluss des Bundeskabinetts zum Rentenpaket. Dazu sagte Annelie Buntenbach, DGB-Vorstandsmitglied, am Mittwoch in Berlin:
(…) Wichtig ist aber auch, dass die Renten der jungen Generationen gesichert werden. Dies ist durch den Aufbau einer Demografie-Reserve möglich. (….)
Frankfurter Rundschau Meinung 31.01.14
Geastbeitrag
Die dürren Jahre sind vorbei
Auch in einer alternden Gesellschaft kann mehr verteilt werden, ohne dass die Jüngeren ausgeplündert werden.
Von Dierk Hirschel*
(…) Der zentrale Glaubenssatz der selbst ernannten Reformer lautete: Die gesetzliche Rente ist in einer schrumpfenden und alternden Gesellschaft nur dann bezahlbar, wenn die Rentner den Gürtel enger schnallen. (…)
Ein längeres Leben und weniger Kinder machen die Rente nicht unbezahlbar. Ob die demografische Belastung tragbar ist, hängt wesentlich von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft ab. Dieser grundlegende ökonomische Zusammenhang wird von den meisten „Rentenexperten“ systematisch ausgeblendet. Wenn die Produktivität je Beschäftigten nur um ein Prozent jährlich wachsen würde, wäre das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf im Jahr 2060 um ein Drittel größer als heute. Damit hätte der Produktivitätszuwachs den geschätzten Rückgang der arbeitenden Bevölkerung wettgemacht. Produktivität schlägt Demografie. (….)
Darüber hinaus kann die Politik das Verhältnis von Beitragszahlern zu Leistungsempfängern verbessern. Weniger Arbeitslose, mehr arbeitende Frauen, mehr sozial versicherte und gut bezahlte Arbeit sowie mehr Zuwanderer füllen die Rentenkasse. Eine Erweiterung der Rentenversicherung auf alle Erwerbstätigen würde ebenfalls zu steigenden Einnahmen führen. (…)
Kurzum: Auch in einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft kann mehr verteilt werden, ohne dass die Jüngeren ausgeplündert werden oder die Wirtschaft lahmt. Das gilt natürlich auch für das Rentenpaket aus dem Hause Nahles. Die rot-schwarzen Reformen kosten in der Spitze knapp elf Milliarden Euro pro Jahr. Das ist kein Grund zur Panik. In den nächsten Jahren wird der ökonomische Fortschritt den zu verteilenden Kuchen größer machen. Zugleich verbessert sich die Verhandlungsposition der abhängig Beschäftigten und der Gewerkschaften. (…)
*Dierk Hirschel ist Bereichsleiter für Wirtschaftspolitik bei Verdi.
Gleichzeitig locken Bundesfamilienministerin Manuela (SPD) und die IG-Metall mit ihren Visionen von der gemeinsamen Teilzeitarbeit für Eltern (vgl. HBF 10.01.14 und HBF 27.01.14).
Kommentar
Sieht so die neue Familienpolitik aus?:
Kinderzuschlag für Geringverdiener
Von Tanja Busse
Ist diese Flickschusterei also die neue Familienpolitik? Zwei Euro mehr Kindergeld für alle oder zwanzig Euro mehr für die, die es am nötigsten haben? Vielleicht ist es eine Falle: Dann bekämen die Aufstocker zwar mehr Kinderzuschlag, aber dafür weniger Hartz IV.
Damit jedoch lassen sich die großen Fragen, mit denen sich die Familienministerin beschäftigen muss, nicht lösen: Einmal: wie kriegen Kinder aus armen bildungsfernen Familien endlich die Chance auf gesellschaftliche Teilhabe? Und zweitens: wie können wir Familie und Beruf im Turbokapitalismus vereinbaren?
Weniger Arbeitszeit, weniger Konsum und mehr Zeit fürs Leben
Beides wird man nicht mit zwei oder zwanzig Euro lösen, sondern mit neuen Ideen zu Lebensstilen und Arbeitsmodellen. Und dazu hatte Manuela eine gute Idee, nämlich die 32 Stunden-Woche für Eltern, steuerlich unterstützt. (…)
Dafür gibt es prompte Kritik von Seiten der üblichen Verdächtigen:
Frankfurter Rundschau, Donnerstag den 30.01.2014 Wirtschaft 14
Eltern haben genug Zeit
Metallarbeitgeber gegen verkürzte Arbeitszeiten
Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger hat den Vorstoß der IG Metall zu kürzeren, tariflich festgelegten Arbeitszeiten für Eltern zurückgewiesen. Eltern, die weniger arbeiten wollten, „können das längst“, sagte Dulger am Mittwoch. Seit dem Jahr 2001 gebe es den Rechtsanspruch auf Teilzeit. Er verwies zudem auf eine Allensbach-Umfrage, wonach 75 Prozent der Arbeitnehmer kein Problem bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie hätten. Hingegen sei es angesichts der in Deutschland sinkenden Zahl von Menschen im Erwerbsalter nötig, dass die Menschen länger als bis 67 arbeiteten.
Jedoch wachsen auch die Zweifel bei den eigentlich Begünstigten der Teilzeit-Vision – den Doppel-Karriere-Eltern. Mit zunehmender Illusionslosigkeit sehen sie zwar, wie sie sich gemeinsam beim polit-medial angesagten Versuch “Kinder und Karriere” zu vereinbaren im Alltag aufreiben…:
DIE ZEIT, 30.01.14 Nr. 6, POLITIK
Geht alles gar nicht
Dass sich Kinder und Karriere vereinbaren lassen, ist eine Lüge. Zeit für mehr Ehrlichkeit
Von Marc Brost und Heinrich Wefing
Sind wir gerne Väter? Ja, absolut, von ganzem Herzen. Sind wir gerne Journalisten? Ja, leidenschaftlich gerne. Und, geht beides zusammen? Die übliche Antwort lautet: Ja, klar. (…)
Die Wahrheit ist: Es ist die Hölle. (…)
Und natürlich gilt das alles auch spiegelbildlich: Wir wollen Frauen, die tolle Mütter sind, erfolgreich im Beruf und kulturell interessiert. Dass sie manchmal müde sind und abgespannt und keine Topmodelhaut haben, geschenkt. Wir verlangen ja nichts Unmögliches. Wir wollen ihren Rat, Gespräche auf Augenhöhe, wollen an den Kabalen in ihren Agenturen, ihren Büros genauso teilhaben wie umgekehrt. Wir wollen ihnen Freiräume für ihre Karriere schaffen, wollen ihnen den Rücken stärken, wenn es bei ihnen im Job brennt.
Und dann? Hat man schon wieder keine Zeit, wenn die Kinder spielen wollen; (…)
Das Bedrückende daran ist nicht nur der gewaltige Stress, den all das verursacht. Viel bedrückender ist, dass man vor lauter Erschöpfung die Sprache verliert: dass man nicht einmal mit der Partnerin oder dem Partner über all das reden kann, (…)
Dann erzählt das befreundete Paar, beide Vollzeit, drei Kinder aus zwei Beziehungen, wie ihnen der Sohn ins Gesicht schrie: »So wie ihr will ich nicht leben!« (….)
…trotzdem können sie nicht einfach ihre Arbeitszeit reduzieren. Dafür gibt es ein strukturelles und weiter wachsendes Hindernis:
Der Berliner Soziologe Hans Bertram nennt uns »die überforderte Generation«. Nicht nur, weil wir immer so müde sind und blass. Es gibt auch handfeste soziologische Gründe dafür, dass wir derart unter Strom stehen. Zum einen, weil es noch nie in einer Generation so viele Singles und kinderlose Paare gab. Deren ökonomische Situation ist im Durchschnitt deutlich besser als die von Familien mit Kindern, von Alleinerziehenden ganz zu schweigen. So viel Konkurrenz produziert: Stress.
Zum anderen, weil immer mehr Frauen ihr erstes Kind um die dreißig oder später bekommen und deswegen die zehn, fünfzehn intensivsten (aufregendsten, schönsten) Jahre der Erziehung und der Fürsorge für die Kinder gerade bei hoch qualifizierten Frauen und Männern exakt mit den Jahren der ersten Karrieresprünge zusammenfallen. Bertram nennt das die »Rushhour der Biografien«. (…)
Weil Selbstausbeutung auch keine Lösung ist, wird eine Konsequenz längst gezogen, jeden Tag, jedes Jahr, in aller Stille, überall in Deutschland (und der westlichen Welt): Frauen, gerade hoch qualifizierte, entscheiden sich gegen Kinder.(….)
(aus: ebda)
siehe dazu
- Akademikerinnen an der Spitze des Kinderschwunds (HBF 19.09.12)
- …Steigende Kinderlosigkeit alarmiert nur Experten – in: HBF 08.11.13
Am Ende steht bei den “Modell-Eltern” der Politik die offene Ratlosigkeit….
Was dann? Noch mehr staatliche Interventionen, Fördermodelle? Die Familienpolitiker lassen uns glauben, dass alles nur eine Frage von Geld und Organisation wäre. (…) Und dass zu den unzähligen familienpolitischen Leistungen und den fast 200 Milliarden Euro, die der Staat jedes Jahr für Familien ausgibt, nur ein paar weitere Leistungen hinzukommen müssten, dann würde schon vieles besser. Sie reden von Splittingmodellen und Teilzeitarbeit oder davon, dass der Staat die Arbeitszeit für junge Eltern begrenzen könnte, auf 32 Stunden in der Woche. Das ist ihr Versprechen. Aber in Wahrheit ist es doch so, dass die Grenze zwischen Arbeitszeit und privater Zeit längst durchlässig geworden ist, weil man immer erreichbar sein muss und, ja, auch immer erreichbar sein will. Die moderne Arbeitswelt hat sich enorm beschleunigt und gleichzeitig verdichtet, alle erleben das. Die Familienpolitiker aber lassen einen glauben, dass es gar nichts ausmachen würde, wenn dann noch ein Kind dazukommt. (…)
Hilfreich wäre also schlicht: Ehrlichkeit. Denn Kinder schaffen Glück, Glück, Glück! Und: Stress, Stress, Stress! Unweigerlich. Beides.
Es gibt keinen Ausweg aus diesem Dilemma. Wer es versucht mit Kindern, Ehe und Beruf, lässt sich auf ein Abenteuer ein. Ein Abenteuer, das Schmerzen und Zweifel und Grenzerfahrungen bringt. Viele scheitern daran. Aber es könnte schon eine Hilfe sein, das einmal auszusprechen, statt immer weiter die Vereinbarkeitslüge zu verbreiten. Denn auch die produziert wieder nur: Stress.
(ebda.)
… eine Ratlosigkeit, die sich die politischen Akteure (noch) nicht leisten können.
Zum Thema siehe auch:
- HBF-Themen-Archiv “Vereinbarkeit von Familie und Beruf”
- “Populäre Irrtümer zur Demographie”. Vortrag von Kostas Petropulos, SWR2 AULA 03. Oktober 2013 – Stichwort “Produktivität“