PISA-
“Kreativ”-Studie bestätigt:

OECD produziert „Bildung“ im Schmalspurformat

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HBF-AKTUELL Tübingen 02. April 2014, erstellt 14:25 Uhr; Stand 18:24 Uhr

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Laut den neuen PISA-Daten der OECD erzielen Deutschlands Schüler/innen bei ihrer “kreativen” Problemlösungkompetenz nur mittelmäßige Leistungen (HPL). Mädchen schneiden dabei deutlich schlechter als Jungen ab (HPL). Für einige Kommentatoren Anlaß, jetzt auch hier nach Abhilfe zu rufen (HPL). Tatsächlich diskreditieren die neuen Daten den verwendeten Bildungsbegriff und die Meßinstrumente der internationalen Wirtschaftsorganisation nachdrücklich (HPL). Das ahnen die Studienautoren offenkundig selbst (HPL) und ist mittlerweile selbst der Wirtschaft aufgegangen (HPL). Kein Wunder, wenn sich die Bundesbildungsministerin eine Stellungnahme dazu erspart (HPL).

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HBF-VOLLTEXT-Version

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Laut den neuen PISA-Daten der OECD erzielen Deutschlands Schüler/innen bei ihrer “kreativen” Problemlösungkompetenz nur mittelmäßige Leistungen. Mädchen schneiden dabei deutlich schlechter als Jungen ab:

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OECD (Paris/Berlin, 1. April 2014)

PISA: Beim kreativen Problemlösen liegen deutsche Schülerinnen und Schüler im oberen Mittelfeld

 (Paris/Berlin, 1. April 2014) – Schülerinnen und Schüler in Deutschland liegen mit ihren Leistungen im kreativen Problemlösen leicht über dem OECD-Durchschnitt. PISA, das Programme for International Student Assessment der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, hat 2012 neben den Schulleistungen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften, auch die Kompetenzen 15-Jähriger im Bereich Problemlösen überprüft.

(…) Dabei fällt auf, dass Schüler besser abschneiden als Schülerinnen. In der Spitzengruppe sind in Deutschland zu 60 Prozent Jungen und nur zu 40 Prozent Mädchen vertreten.

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Für einige Kommentatoren Anlaß, jetzt auch hier nach Abhilfe zu rufen:

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ZEIT Online  1. April 2014  14:27 Uhr

Pisa-Studie Problemlösen

DIESMAL GEWINNEN DIE JUNGEN

Mädchen sind laut Pisa-Studie schlechter darin, Alltagsprobleme zu lösen. Liegt es am räumlichen oder am mathematischen Denken? Oder am Umgang mit dem Computer?

von Parvin Sadigh

(…) Die erstaunliche Nachricht ist hingegen, dass die Jungs, die ja sonst als die Bildungsverlierer gelten, diesmal deutlich besser sind als die Mädchen. Am unteren Ende der Skala unterscheiden sich die Geschlechter nicht, aber in der Spitzengruppe. Sie setzt sich zu 60 Prozent aus Jungen und nur zu 40 Prozent aus Mädchen zusammen. In den meisten anderen getesteten Ländern ist es ganz ähnlich.

Woran liegt das? Interessanterweise korrelieren die Leistungen im Problemlösen eher mit denen in Mathematik, wo die Jungen auch leicht vorne liegen, und nicht mit den Leistungen im Lesen, wo die Mädchen wesentlich besser sind. Kann mathematisches Denken also auch helfen, sich im Alltag kniffligen Problemen zu nähern, Zweifel zuzulassen und kreativ nach Lösungen zu suchen?

Ohne Computer kein Unterschied zwischen den Geschlechtern

Auch interessant ist, dass Jungen und Mädchen im Problemlösen beim letzten vorherigen Test dieser Art (Pisa 2003) noch gleich gut abschnitten. (…) Hierzu gehört zum Beispiel die Roboterstaubsauger-Frage. Das deckt sich mit anderen Studienergebnissen, dass Mädchen schlechter räumlich denken können.

Das bedeutet aber noch lange nicht, dass dieser Unterschied “natürlich” ist, also biologische Gründe hat. Denn dann dürfte es von diesem Muster keine Abweichungen geben. In Deutschland aber und vielen anderen europäischen Ländern waren Mädchen in allen Aufgabengruppen ähnlich gut beziehungsweise schlecht. Und in manchen Ländern, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bulgarien zum Beispiel, sind die Mädchen sogar insgesamt besser im Problemlösen. Es scheint also eher mit Sozialisation und den konkreten Bildungssystemen zu tun zu haben.

Wenn Jungen also im Schnitt besser neue Probleme lösen können, könnte ihnen das später im Berufsleben helfen. Es könnte zum Teil erklären, warum sie trotz schlechterer Schulzeugnisse und Uniabschlüsse noch immer schneller aufsteigen als Frauen. Wer jenseits vom Fachwissen schnell neue Informationen verstehen und anwenden kann sowie kreativ an Probleme herangeht, setzt sich wahrscheinlich einfach schneller durch.

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SPIEGEL Online 01. April 2014, 18:27 Uhr

Pisa-Ergebnisse

JUNGS SIND BESSER ALS MÄDCHEN

Jungs können mehr und erzielen Spitzenleistungen, Mädchen landen nur im Mittelfeld. Die Pisa-Studie offenbart einen großen Geschlechterunterschied in allen Ländern. Warum ist das so?

Von Frauke Lüpke-Narberhaus und Michael Niestedt (Grafik)

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Jungen erzielen bei dem neuen Pisa-Test häufiger Höchstleistungen als Mädchen. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für fast alle 44 teilnehmenden Länder. “Wir sollten darüber nachdenken, ob wir Jungen und Mädchen gleichermaßen zu Spitzenleistungen anspornen”, sagt Francesco Avvisati, einer der Autoren der Studie.

(…) Avvisati und seine Kollegen können derzeit nur vermuten. Dafür schauen sie auch auf jene Länder, in denen Mädchen insgesamt besser abgeschnitten haben als Jungen. Darunter sind beispielsweise die Vereinigten Arabischen Emirate und Bulgarien. Das mag überraschen, liegt aber daran, dass hier insgesamt weniger 15-Jährige Spitzenleistungen erreicht haben. Die Mädchen im Mittelfeld ziehen den Schnitt nach oben.

 Anders in Ländern wie Schweden, Norwegen und Finnland, Gesellschaften also, in denen Männer und Frauen schon relativ gleichgestellt leben: Hier landeten in der Spitzengruppe gleich viele Mädchen wie Jungen. Avvisati mutmaßt, dass die Lehrer hier gleich hohe Erwartungen an Jungen und Mädchen haben, dass die Lehrer Mädchen hier anders motivieren.

Oder ist es die Angst davor, Fehler zu machen, die Mädchen eher im Mittelfeld landen lässt? Denn die Autoren der Studie schreiben: Wer beim kreativen Problemlösen gut abschneiden will, der müsse offen für Neues sein, müsse “Zweifel und Ungewissheit zulassen und es wagen, intuitiv vorzugehen”. Wenn die Mädchen nicht wagen, gewinnen sie nicht. Aber auch das ist nur eine Vermutung, betont Avvisati. (…)

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Die Welt kompakt 02.04.14, Die Welt Seite 1

Kommentar

FRAUEN STARK MACHEN

 Von Inga Michler

(…) Erstmals haben die Wissenschaftler der OECD untersucht, wie kreativ Schüler an Probleme herangehen. Welchen Mut bringen sie auf, neue, unkonventionelle Lösungen auszuprobieren?

Damit nehmen die Forscher einen Kernbereich unserer Wissensgesellschaft unter die Lupe. Für den Erfolg von Einzelnen und ganzen Volkswirtschaften kommt es in Zeiten des weltweiten Wandels längst nicht mehr nur auf das gelernte Wissen an. Immer wichtiger wird, was die Menschen damit anzufangen wissen. (…)

Die Fähigkeit zum Querdenken allerdings scheint hierzulande ungleich verteilt zu sein. Die Mädchen nämlich schneiden in dem Test der 15-Jährigen aller Schulformen systematisch schlechter ab als die Jungen. So finden sich in der Spitzengruppe der Problemlöser 60 Prozent Jungen und nur 40 Prozent Mädchen.

Die Pisa-Forscher legen damit einen Finger in die Wunde. Alte, längst überwunden geglaubte Klischees scheinen in manchen deutschen Kindergärten, Schulen und Elternhäusern noch lebendig zu sein. Mädchen gelten dort als ordentlich, gewissenhaft und strebsam. Jungen sind für die ungewöhnlichen Ideen zuständig.  (…)

Das ist nicht überall so. In Kanada, Schweden, Norwegen oder Finnland sind Frauen in Spitzenpositionen von Wirtschaft und Politik besser vertreten. Und es ist wohl kein Zufall, das ausgerechnet in diesen Ländern die Mädchen beim Problemlösungs-Pisa stark sind. (…)

Wer althergebrachte Rollenbilder verstärkt, erweist dem Land einen Bärendienst. Deutschland braucht alltagskluge Menschen und mutige Querdenker, damit es wettbewerbsfähig bleibt. Die Kraft der Mädchen dabei zu vergeuden, ist durch nichts zu rechtfertigen.

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und HP-PLUS

Tatsächlich diskreditieren die neuen Daten den verwendeten Bildungsbegriff und die Meßinstrumente der internationalen Wirtschaftsorganisation nachdrücklich. So haben die bisherigen PISA-Studien den deutschen Schüler/innen einen stetigen “bildungspolitischen” Aufstieg seit dem desaströsen Abschneiden im Jahr 2001 attestiert. Das Land erreiche mittlerweile überdurchschnittliche Leistungswerte  (vgl. z.B. HBF 04.12.13). Allerdings haben diese PISA-gerechten Leistungssteigerungen offenkundig nicht die “kreative Lösungskompetenz” gefördert, wie die OECD-Autoren erstaunt einräumen:

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Die Lösung von Alltagsproblemen verlangt heutzutage weit mehr als nur die direkte Anwendung von Schulwissen. Im realen Leben zählt darüber hinaus die Fähigkeit, neue Kenntnisse zu erwerben, Informationen kognitiv zu verarbeiten, Problemsituationen zu verstehen sowie eigenständig nach Problemlösungen zu suchen.

Im OECD-Vergleich liegen die Leistungen deutscher Schülerinnen und Schüler beim kreativen Lösen von Problemen im guten Mittelfeld. Sie sind jedoch niedriger als man angesichts der Ergebnisse in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften erwarten würde.

(aus: PISA: Beim kreativen Problemlösen liegen deutsche Schülerinnen und Schüler im oberen Mittelfeld. OECD (Paris/Berlin, 1. April 2014)

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Wenig plausibel ist etwa die “hohe Problemlösungskompetenz” der Mädchen in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Laut den PISA-Daten übertreffen sie die Jungen um Längen. Die Geschlechterdifferenz betrage +26 Punkte zu gunsten der Mädchen. In den gleichstellungspolitischen “Vorzeigestaaten” Skandinaviens ist dieser Abstand jedoch nur vergleichsweise gering (Finnland: +6, Norwegen: +3, Schweden: +4 – zu Vergleich: Deutschland: -7; – siehe Anmerkung 1). Zudem liegen die Vereinigten Arabischen Emirate bei den üblichen Schulleistungsmessungen nach PISA weit abgeschlagen hinter diesen skandinavischen Ländern.

Auch der Blick auf die Spitzengruppe des aktuellen PISA-Vergleichs macht stutzig – etwa auf die Schüler des chinesischen Teils von Shanghei. Hier liegt der Anteil der besonders leistungsfähigen “Problemlöser” (Level 5 und 6) mit 18,3% zwar deutlich vor Deutschland (12,8%), aber klar hinter dem “Problemlösungs-Weltmeister” Singapur (29,3%). Vergleicht man diese Daten jedoch mit den traditionellen PISA-Ergebnissen kehrt sich das Bild vollständig um: Das chinesische Shanghai ist nicht nur mit weitem Abstand vor Singapur PISA-Sieger (613 zu 573 Punkte – siehe Anmerkung 2). Der Anteil der besonders leistungsfähigen Schüler/innen steigt gegenüber dem “Kreativ-Test” von 18,3% auf statte 55,4%.

Schließlich räumen die PISA-Autoren faktisch selbst ein, daß sie mit einem sehr engen “Bildungsbegriff” arbeiten, wenn sie den gerade für Deutschland oft beklagten engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg bei ihrem “Problemlösungs-Test” plötzlich nicht als dominierenden Faktor bestätigen können:

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Der soziale und ökonomische Hintergrund ist beim kreativen Problemlösen weniger prägend als bei den sonstigen PISA-Schulleistungen. Anders als etwa in Mathematik, werden Problemlösungsfähigkeiten offenbar auch in anderen, nicht schulbezogenen Kontexten erworben.

(aus: PISA: Beim kreativen Problemlösen liegen deutsche Schülerinnen und Schüler im oberen Mittelfeld. OECD (Paris/Berlin, 1. April 2014)

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siehe dazu:

Auch der Wirtschaft dämmert inzwischen, daß ihr mit einer PISA-gerechten “Bildung” allein nicht gedient ist:

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F.A.Z. 24.03.14

Verkürzte Gymnasialzeit

 BETRIEBE BEKLAGEN UNREIFE VON G8-ABITURIENTEN

Die verkürzte Gymnasialzeit ist allgemein unbeliebt. Viele Wirtschaftsvertreter warnen hingegen vor einer Rückkehr zu neun Jahren. Doch die Front bröckelt.

Von Lisa Becker

(….) Die in Niedersachsen-Metall organisierten Arbeitgeber heißen die Rückkehr plus die Möglichkeit, eine Klasse zu überspringen, gut. G8 sei in den mehr als 800 Mitgliedsunternehmen, die vor allem zum industriellen Mittelstand gehören, immer mehr diskutiert worden, berichtet der Sprecher des Verbands, Christian Budde. Zunehmend hätten sie über eine gewisse geistige Unreife vieler Abiturienten und Defizite im Sozialverhalten geklagt (…)

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Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall Verfasst von: Extern Verfasst am: 20. März 2014

NiedersachsenMetall begrüßt Pläne der Kultusministerin zu G9

Der Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall begrüßt die Pläne der Niedersächsischen Kultusministerin Frauke Heiligenstadt grundsätzlich, zum Sommer 2015 eine Wahlfreiheit zwischen dem Abitur nach 8 (G8) oder dem nach 9 Jahren (G9) einzuführen. Dazu Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von NiedersachsenMetall:

„Die unerwünschten Nebenwirkungen des Abiturs nach 8 Jahren bei den Schülerinnen und Schülern sind frappierend. Nicht nur Qualifikationsniveau und Persönlichkeitsentwicklung leiden. Das zeigen Untersuchungen unter anderem des Niedersächsischen Instituts für Wirtschaftsforschung (NIW). Weitere Effekte sind schlechtere Mathenoten, Abiturienten, die später ins Studium starten wollen und vor allem die offenbar sinkende Bereitschaft, ein mathematisch-naturwissenschaftliches Studium zu beginnen. Das ist Gift für unsere Unternehmen, die schon heute große Probleme haben, jungen Fachkräftenachwuchs zu rekrutieren.

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Kein Wunder, wenn sich die Bundesbildungsministerin eine Stellungnahme zur neuen PISA-Auswertung erspart und stattdessen auf andere “Erfolge” verweist:

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Bundesministerin für Bildung und Forschung 02.04.2014

Beratung ist der Schlüssel zur erfolgreichen Anerkennung

 Bundesregierung beschließt ersten Bericht zum ANERKENNUNGSGESETZ

/ Wanka: “Wirkungsvolles Instrument zur Fachkräftesicherung

Die Bundesregierung hat heute den ersten Bericht zum Vollzug des Anerkennungsgesetzes beschlossen.  Zwei Jahre nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes, das erstmalig einen allgemeinen und umfassenden Rechtsanspruch auf Überprüfung der Gleichwertigkeit eines ausländischen Berufsabschlusses mit dem deutschen Referenzberuf schaffte, haben  die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Johanna  Wanka, und der Minister für Wissenschaft und Wirtschaft des Landes Sachsen-Anhalt, Hartmut Möllring, eine positive Bilanz gezogen..

 

Zum Thema siehe auch:

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1)

PISA_B1

 

2)

PISA_B2

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