Das deutsche Dilemma:
Mehr Arbeitskräfte für den Wirtschaftsstandort oder mehr Kinder?
/ Neue Studie liefert weitere Bestätigung
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HBF-AKTUELL Tübingen 23. Mai 2014, erstellt 20:36 Uhr, Stand 22:24 Uhr
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Die arbeitsmarkzentrierte Familienpolitik der Bundesregierungen seit der Jahrtausendwende sollte (HBF-Themen-Archiv) Mütter zu einer verstärkten Erwerbsbeteiligung veranlassen und zugleich die Geburtenrate erhöhen. Das erste Ziel ist offenkundig erreicht, wie eine jetzt veröffentlichte Studie erneut (vgl. z.B. HBF 2012 / HBF 09.01.12) bestätigt (HPL). Der erhoffte Anstieg der Geburtenrate ist bekanntermaßen jedoch nicht nur ausgeblieben (vgl. HBF-Themen-Archiv). Laut den Experten habe diese Politik “überraschenderweise” (HPL) die Wahrscheinlichkeit eines Rückgangs der Geburtenrate sogar noch vergrößert (HPL). Das untermauert den Befund einer bereits im letzten Jahr publizierten Studie zu den Effekten der familienpolitischen “Modernisierungen” (vgl. HBF 2013 / HBF 06.05.13). Die “Erfolgsrezepte” des Vorbild gebenden Auslands führen unter den deutschen Bedingungen offenkundig zum Dilemma “Mehr Arbeitskräfte oder mehr Kinder?”.
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HBF-VOLLTEXT
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Die arbeitsmarkzentrierte Familienpolitik der Bundesregierungen seit der Jahrtausendwende sollte (HBF-Themen-Archiv) Mütter zu einer verstärkten Erwerbsbeteiligung veranlassen und zugleich die Geburtenrate erhöhen. Das erste Ziel ist offenkundig erreicht, wie eine jetzt veröffentlichte Studie erneut (vgl. z.B. HBF 09.01.12) bestätigt:
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Rheinisch-Westfälisches Institut (RWI) Pressemitteilung vom 22.05.2014
Elterngeldmütter arbeiten häufiger und haben bessere Jobs
Das Elterngeld hat den Anteil der arbeitenden Mütter signifikant erhöht. Gleichzeitig kehren die Mütter in höherem Maße zum gleichen Arbeitgeber zurück, bei dem sie vor der Geburt des Kindes tätig waren – was wiederum vom Arbeitgeber durch eine höhere Anzahl unbefristeter Verträge belohnt wird. Zu diesen Ergebnissen kommt eine aktuelle Studie des RWI, die erstmals die Beschäftigungssituation der Mütter bis zu 5 Jahre nach der Geburt des Kindes untersucht.
(….) Insgesamt kommt die Studie zu dem Schluss, dass das Elterngeld die Beschäftigungssituation der Mütter fundamental verändert hat: Erstens arbeiten mehr Mütter als zuvor; zweitens leisten die arbeitenden Mütter längere Arbeitszeiten; drittens kehren sie in stärkerem Maße zu ihrem früheren Job zurück; viertens belohnt dies der Arbeitgeber durch unbefristete Verträge. (…)
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Der erhoffte Anstieg der Geburtenrate ist bekanntermaßen jedoch nicht nur ausgeblieben (vgl. HBF-Themen-Archiv “Bevölkerungs/Geburtenentwicklung). Laut den Experten habe diese Politik “überraschenderweise” die Wahrscheinlichkeit eines Rückgangs der Geburtenrate sogar noch vergrößert:
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Tabelle 9 zeigt die empirisch geschätzte Wirkung der Politik auf die Wahrscheinlichkeit der Mütter noch ein weiteres Kind zu bekommen. Der Gesamteffekt ist zwar klein (-0,7 Prozentpunkte auf einer Grundwahrscheinlichkeit von 0,145, d.h. eine Verringerung von 5 Prozent), aber statistisch signifikant. Die Ergebnisse der Untergruppen zeigen, dass der Gesamteffekt fast ausschließlich von einer starken Verringerung der Wahrscheinlichkeit bei den jüngeren Müttern (< = 29 Jahre) bestimmt wird; auch in der Gruppe mit niedrigem Einkommen wird ein ähnliche Effekt sichtbar. Wie die Politik diesen etwas enttäuschenden und auch unerwarteten Effekt bewirkt, ist schwer auszumachen; dieses Ergebnis ist möglicherweise auf die Doppelentscheidung zurückzuführen, in größerer Zahl früher auf den Arbeitsmarkt zurückzukehren und sich dabei in geringerem Maße für ein weiteres Kind (innerhalb eines 5-Jahres-Zeitraums) zu entscheiden. (….)
(aus: „Social Norms and Mothers‘ Labor Market Attachment: The Medium-Run Effects of Parental Benefits“. Ruhr Economic Paper #481, April 2014. Seite 30 – Übersetzung Heidelbeger Familienbüro)
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Das untermauert den Befund einer bereits im letzten Jahr publizierten Studie zu den Effekten der familienpolitischen “Modernisierungen” (vgl. Wirtschaftsforscher: Krippen erhöhen die Erwerbsbeteiligung von Müttern – aber nur das Kindergeld die Geburtenrate. HBF 06.05.13). Die “Erfolgsrezepte” des Vorbild gebenden Auslands führen unter den deutschen Bedingungen offenkundig zum Dilemma “Mehr Arbeitskräfte oder mehr Kinder?”.
Übrigens: Das Elterngeld zeitigt nach Ansicht der RWI-Forscher noch eine weitere gesellschaftspolitisch unerwünschte Wirkung, die auch dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhl große Sorge bereitet, wie er dieser Tage öffentlich erklärte. Nach den Daten der Experten aus Essen senke das Elterngeld auch die Heiratsneigung deutlich bei den Müttern, die entweder ihr erstes Kind bekommen oder über über ein hohes Erwerbseinkommen verfügen:
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The estimates indicate a significant reduction in the marriage probability that is visible in the short-run (Phase 1) but continues through the medium-run (Phase 3). The average reductions for all mothers amount to 4 percentage points during benefit receipt (base probability 75.4 per cent) and 2.4 percentage points in the medium-run (base probability 78.4 per cent). These somewhat unexpected effects are mostly driven by first-time mothers and high income mothers.
A possible explanation for this finding is the interaction of the parental benefit with the German system of joint personal income taxation. The benefit payments themselves are indeed tax-free; they are, however, subject to the progressivity proviso, which significantly reduces the income tax splitting advantage for married couples. Due to this fact, apparently, the reform makes it less lucrative for parents to get married. This effect is most pronounced during the immediate phase of benefit receipt, but seems to persist to a significant degree in the medium-run.
(aus: „Social Norms and Mothers‘ Labor Market Attachment: The Medium-Run Effects of Parental Benefits“. Ruhr Economic Paper #481, April 2014. Seite 30
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Genau diese sinkende Bereitschaft in der Bevölkerung zur rechtlich-verbindlichen Partnerschaft hält BVG-Präsident Andreas Voßkuhle offenkundig für bedenklich:
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SÜDWEST PRESSE 22.05.2014 – 21:26 Uhr
Karlsruhe
VERFASSUNGSGERICHTSPRÄSIDENT: WANDEL STELLT EHE AUF DEN PRÜFSTAND
Der gesellschaftliche Wandel stellt nach Ansicht des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, den Schutz der Ehe auf den Prüfstand.
Karlsruhe. Dies zeige die immer wieder aufflammende Debatte, ob es einen Abstand zwischen der Ehe und gleichgeschlechtlichen Partnerschaften geben müsse, sagte er am Donnerstag bei den Karlsruher Verfassungsgesprächen.
Das eigentlich drängende Problem sei aber die sinkende Bereitschaft, andauernde Bindungen einzugehen oder dauerhaft aufrecht zu erhalten. In der Konsequenz führe dies zu einer wachsenden Zahl von Alleinerziehenden – vor allem Frauen. Jede fünfte Familie bestehe bereits aus nur einem Elternteil, in der Stadt sei die Quote noch höher. Nach Studien liege die Armutsgefährdung Alleinerziehender bei 40 Prozent, jedes fünfte Kind sei von Armut und Ausgrenzung betroffen.
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Zum Thema siehe auch:
HBF-Themen-Archiv “Arbeitsmarkt statt Familienpolitik”
HBF-Themen-Archiv “Bevölkerungs/Geburtenentwicklung”
HBF-Statistik: Kinderzahl pro Frau: Kinderlosigkeit und Kinderzahl von Frauen nach Erwerbsstatus in einer Partnerschaft (Ost- und Westdeutschland) in Prozent-Anteilen an der Gesamtheit aller Frauen 2012