Modernisierte Familienpolitik:

Trotz neuer Krippen-Milliarde bleiben Ergebnisse weit

hinter den (geschürten) Erwartungen zurück

/ Gesellschaftliche Beharrungskräfte größer als gedacht

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HBF-AKTUELL Tübingen 28. Mai 2014, erstellt 20:47 Uhr, Stand 22:40 Uhr

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Die schwarz-rote Koalition hat sich nach zähem Ringen auf die Verteilung ihrer angekündigten Bildungsmilliarden geeinigt (HPL). Der familienpolitische Teil bleibt gleich in mehrfacher Weise hinter den geschürten Erwartungen zurück (HPL). Auch die erhofften gesellschaftspolitischen Effekte der modernisierten Familienpolitik seit der Jahrtausendwende bleiben – bis auf eine Ausnahme (vgl. HBF 2014) – weiterhin aus, wie eine neue Untersuchung ergibt (HPL). Offenkundig seien die gesellschaftlichen Beharrungskräfte stärker als angenommen (HPL). Der Politik sei daher zu empfehlen, ihren Veränderungshorizont realistischerweise um einige Jahrzehnte zu erweitern (HPL).

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HBF-VOLLTEXT

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Die schwarz-rote Koalition hat sich nach zähem Ringen auf die Verteilung ihrer angekündigten Bildungsmilliarden geeinigt:

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SPIEGEL Online 27. Mai 2014, 10:59 Uhr

Einigung bei Bildungsmilliarden

Bund entlastet Länder beim Bafög

Es ging um sechs Milliarden Euro für Schulen, Hochschulen, Kitas und Krippen, jetzt haben sich die Koalitionäre auf die Verteilung geeinigt: Ab 2015 wird der Bund das Bafög komplett finanzieren.

Berlin – Nach wochenlangen Diskussionen in der Großen Koalition ist der Konflikt um milliardenschwere Investitionen in die Bildung beigelegt: Der Bund wird künftig die Kosten für die Ausbildungsförderung Bafög komplett übernehmen. Das sei zentraler Teil der Einigung von Bund und Ländern, teilte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Dienstag in Berlin mit. (…)

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und HBF-Premium

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Der familienpolitische Teil bleibt gleich in mehrfacher Weise hinter den geschürten Erwartungen zurück. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag suggerierte eine Priorität für die organisierte Kinderbetreuung:

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Die Länder und Gemeinden stehen vor großen Herausforderungen bei der Finanzierung von Kinderkrippen, Kitas, Schulen und Hochschulen. Damit sie diese Aufgaben besser bewältigen können, werden die Länder in der laufenden Legislaturperiode in Höhe von sechs Milliarden Euro entlastet. Sollten die veranschlagten Mittel für die Kinderbetreuung für den Aufwuchs nicht ausreichen, werden sie entsprechend des erkennbaren Bedarfs aufgestockt.

(aus: Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 18. Legislaturperiode. 27.11.13, S. 88 und S. 97)

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Bis zuletzt bestand die Hoffnung, wenigstens eine Gleichwertigkeit der drei Bereiche durchsetzen zu können:

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handelsblatt.com 21.05.2014, 10:42 Uhr

Milliarden für Kinderbetreuung

Familienminister beraten über Bildungsgelder

Union und SPD haben den Ländern sechs Milliarden Euro bis 2017 für Kinderbetreuung und Bildung zugesagt. Noch ist unklar, wie viel Geld wohin geht. Rheinland-Pfalz hat bereits klare Vorstellungen.

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Rheinland-Pfalz wirbt nun dafür, je zwei Milliarden konkret für die drei Bereiche zu verwenden.

„Ich fände es nur gerecht, wenn die sechs Milliarden zu gleichen Teilen zwischen den drei angesprochenen Bildungsbereichen aufgeteilt werden“, sagte Ministerin Alt. „Der Investitionsbedarf in den Kita-Ausbau ist enorm.“ Vereinbarkeit von Beruf und Familie sei im öffentlichen Bewusstsein ein Topthema. „Vereinbarkeit ohne Kita-Plätze ist nicht machbar“, sagte sie.

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Tatsächlich sehen Bund- und Länder im Krippen/Kita-Ausbau oder gar dessen qualitativer Verbesserung keine Priorität:

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Bundesfamilienministerium  Di 27.05.2014

EINE MILLIARDE Euro für Kitas und Krippen

Der Bund wird in der laufenden Legislaturperiode eine Milliarde Euro für Kitas und Krippen zur Verfügung stellen – darauf hat sich die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern am 27. Mai verständigt. Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela , begrüßte die Einigung: “Eltern wünschen sich die bestmögliche Betreuung und Bildung für ihre Kinder. Und Bildung beginnt nicht erst in der Schule, sondern bereits in der Kita. Deshalb freue ich mich, dass sich der Kampf für zusätzliche Mittel für den Kitaausbau und die Verbesserung der Qualität gelohnt hat.”

Sondervermögen Kinderbetreuung wird aufgestockt

Die Verteilung der finanziellen Mittel für die Krippen und Kitas erfolgt wie bisher für die Länder über das Sondervermögen Kinderbetreuung. Der Bund wird dieses Sondervermögen entsprechend aufstocken. Zudem wird der Bund 2017/2018 den Festbetrag an der Umsatzsteuer zugunsten der Länder um jeweils 100 Millionen Euro erhöhen.

“Wir werden weiter in den Ausbau der Kindertagesbetreuung investieren. Gemeinsam mit den Ländern werde ich mich darüber austauschen, wie das Geld eingesetzt wird”, sagte Manuela . “Noch in diesem Jahr wird es eine erste Bund-Länder-Konferenz zur Kindertagesbetreuung geben, bei der das Thema Qualität im Fokus stehen wird.”

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Im Klartext: Das zusätzliche “Krippen”-Geld des Bundes wird nicht dauerhaft zur Verfügung gestellt, sondern nur einmalig in dieser Legislaturperiode. Klar ist bislang nur seine Verwendung für den weiteren quantitativen Ausbau. Über eine mögliche Verbesserung der Betreuungsqualität haben Bund und Länder bislang noch nicht einmal gesprochen – ganz zu schweigen von den dafür notwendigen Kosten.

Aber das ist noch nicht alles…(HBF-Premium)…

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Der gedämpfte politische Elan beim Ausbau von (organisierter) “Bildung und Betreuung” könnte auch noch mit einer weiteren Entwicklung zusammenhängen: Dem Ausbleiben der erhofften gesellschaftspolitischen Effekte der modernisierten Familienpolitik seit der Jahrtausendwende. Bis auf die erzielte Erhöhung der Erwerbsquote junger Mütter (vgl. dazu zuletzt HBF 23.04.14) werden die weiteren Ziele verfehlt, wie eine neue Untersuchung ergibt:

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DIE ZEIT 28. MAI 2014, Nr. 23, Seite 31f

DIE ZWEIMONATSVÄTER

Das Elterngeld schafft nicht mehr Gleichberechtigung. Woran liegt das?

von Katrin Hörnlein, Stefan Schmitt und Judith Scholter

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(….) Zwei Ziele hatte Ursula von der Leyen im Herbst 2006 zur Einführung des neuen Elterngeldgesetzes formuliert: Zum einen sollten Paare ermutigt werden, mehr Kinder zu bekommen; zum anderen sollte das Gesetz dafür sorgen, dass Paare sich die Babyfürsorge stärker partnerschaftlich teilen. Dafür gibt der Staat jährlich rund fünf Milliarden Euro aus. Leider muss man feststellen: Bislang wurden beide Ziele verfehlt.

Weder stieg die Geburtenzahl (laut der neuesten amtlichen Statistik aus dem Jahr 2012 liegt sie mit 673 500 Kindern noch unter der des Jahres 2005), noch verbringen frischgebackene Väter in den Monaten nach der Geburt auch nur annähernd so viel Zeit zu Hause wie die Mütter. (…)

Und inzwischen haben die Sozialwissenschaftler von Sowitra auch ergründet, wie sich eine Väterzeit längerfristig auf den Job auswirkt. Für eine noch unveröffentlichte Untersuchung, die von der Hans-Böckler-Stiftung unterstützt wurde, haben sie rund 650 junge Väter online zu ihren Elternzeiterfahrungen befragt (…)

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und HBF-Premium

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Offenkundig seien die gesellschaftlichen Beharrungskräfte stärker als angenommen:

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(…) In der repräsentativen Studie Moderne Väter der Väter gGmbH findet sich dazu ein interessanter Befund: Gut zwei Drittel der 1000 befragten Väter gaben 2012 an, dass ihre Partnerin ausdrücklich zwölf Monate in Elternzeit gehen wolle. »Das ist ein Hinweis auf klare Dynamiken«, folgert Volker Baisch, »da findet keine partnerschaftliche Absprache statt.« Mit anderen Worten: Die Norm des Zweimonatsvaters wird auch von den Frauen geprägt.

»Ich habe mir das Kind gewünscht, und deshalb will ich auch Zeit mit ihm verbringen« — solche Begründungen hat die Münchner Soziologin Cornelia Behnke von vielen Müttern gehört. Sie hat Elternpaare zur häuslichen und beruflichen Aufgabenteilung interviewt und festgestellt, dass die meisten Männer den Frauen mehr Kompetenz bei Fürsorge und Erziehung zugestehen; der Wunsch der Mutter nach mehr Zeit mit den Kindern erscheint ihnen deshalb legitim. (…)

Ähnliches beobachtet auch Behnkes Kollege, der Dortmunder Soziologe und Männerforscher Michael Meuser. »Mit der Geburt des ersten Kindes setzt eine große Retraditionalisierung in den Beziehungen ein. Die Frau bleibt zu Hause oder arbeitet in Teilzeit, der Mann ist der Ernährer der Familie«, sagt Meuser (…)

(aus: ebda)

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siehe dazu auch: HBF-Premium

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Der Politik sei daher zu empfehlen, ihren Veränderungshorizont realistischerweise um einige Jahrzehnte zu erweitern:

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DIE ZEIT 28. MAI 2014, Nr. 23, Seite 31f

»Es entstehen neue Konflikte«

Warum fallen Männer und Frauen in alte Rollen zurück, wenn das erste Kind geboren ist? Ein Gespräch mit dem Soziologen Michael Meuser

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Meuser: Studien aus der Mitte des vergangenen Jahrzehnts, also noch vor der Einführung des Elternzeit-Gesetzes, zeigen, dass Arbeitgeber es als Illoyalität gewertet haben, wenn Väter ihre Arbeitszeit für die Familie reduzieren wollten. Da sind wir schon einen Schritt weiter. Aber Wandel braucht Zeit.

ZEIT: Wie viel Zeit? Jahre oder Jahrzehnte?

Meuser: Man darf nicht erwarten, dass Programme wie das Elterngeld einfach mal über Jahrhunderte gewachsene Strukturen umkrempeln. In Skandinavien richtet sich seit den 1970er Jahren Familienpolitik auch an Väter. Jetzt, 40 Jahre später, kann man sehen, dass sich neue Selbstverständlichkeiten ausgebildet haben. Das dauert wohl ein bis zwei Generationen.

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Zum Thema siehe auch:

 

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