Das Wahlalter von 18 Jahren ist verfassungswidrig, weil es eine zahlenmäßig große Minderheit von Staatsbürgern/innen von der politischen Willensbildung ausschließt – so die Auffassung einer Gruppe von 10- bis 17-Jährigen, die deswegen jetzt Verfassungsbeschwerde gegen das Ergebnis der letzten Bundestagwahl eingelegt hat (HPL). Der gegenwärtige Zustand führe ihrer Ansicht nach in eine Rentner-Demokratie, die die Rechte der nachwachsenden Generation mißachte (HPL). Kinder und Jugendliche sollten deshalb künftig wählen können, sobald sie sich in das örtliche Wählerverzeichnis eingetragen hätten (HPL).
Dieser überraschende Vorstoß gegen das bestehende Wahlrecht kann nicht nur mit prominenter Unterstützung aufwarten (HPL). In seiner Begründung finden sich fundierte Einwände (HPL), auf deren Beurteilung durch das Bundesverfassungsgericht man tatsächlich gespannt sein kann.
Bei dem angestrebten Lösungsmodell für mehr Generationengerechtigkeit gibt es jedoch offenkundig noch erheblichen Diskussionsbedarf (HPL).
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HBF-VOLLTEXT
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Das Wahlalter von 18 Jahren ist verfassungswidrig, weil es eine zahlenmäßig große Minderheit von Staatsbürgern/innen von der politischen Willensbildung ausschließt – so die Auffassung einer Gruppe von 10- bis 17-Jährigen, die deswegen jetzt Verfassungsbeschwerde gegen das Ergebnis der letzten Bundestagwahl eingelegt hat:
15 Kinder und Jugendliche haben eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht, um das Mindestwahlalter abzuschaffen und damit Demokratie und Generationengerechtigkeit zu stärken.
Aus diesem Anlass laden wir zu einer Pressekonferenz ein:
15 Kinder und Jugendliche haben sich beim Bundesverfassungsgericht beschwert. Dass sie nicht wählen dürfen, verletze die Grundsätze der Demokratie. Sie wollen das Mindestwahlalter bei Wahlen senken und fordern ein Wahlrecht, das völlig ohne Altersgrenze auskommt.
(…) Die Kinder und Jugendlichen beklagen, dass ihnen das wichtigste politische Grundrecht nicht zustehe. Dies verletze die Grundsätze der Demokratie und Volkssouveränität. Millionen Menschen in Deutschland seien pauschal vom Wahlrecht ausgeschlossen – nur weil sie unter 18 Jahre alt sind. Damit stünden 17 Prozent der Bevölkerung ihr wichtigstes politisches Grundrecht nicht zu. Dies verletze die Grundsätze von Demokratie und Volkssouveränität. Dieser Zustand sei nicht länger haltbar. Deshalb habe man gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen die Initiative „Wir wollen wählen!” gestartet. Sie fordern ein Wahlrecht, das völlig ohne Altersgrenze auskommt. Der Bundestag hatte den Einspruch gegen die Bundestagswahl zurückgewiesen. Das Gericht prüft nun, ob die Beschwerde zulässig ist, wie der Sprecher sagte. (…)
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Der gegenwärtige Zustand führe nach Ansicht der jugendlichen Kläger in eine Rentner-Demokratie, die die Rechte der nachwachsenden Generation mißachte:
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(…) Der Ausschluss der jungen Generation vom (aktiven und passiven) Wahlrecht hat zur Folge, dass alle politischen Entscheidungen des Gesetzgebers und – in der Folge – der demokratisch legitimierten Exekutive ohne ihre Mitwirkung gefällt werden. Dabei betreffen diese Entscheidungen in aller Regel von ihrem politischen Gewicht und in den Konsequenzen vor allem die junge Generation, seien es Haushaltsbeschlüsse oder Maßnahmen für die Umwelt (Energiewende, ökologische Aspekte, Luftverschmutzung) oder wirtschaftspolitische Entscheidungen.
aa) Das wurde erst kürzlich bei der Rentengesetzgebung deutlich, als die Rente mit 63 mit Wirkung zum 01. Juli 2014 beschlossen wurde. Unter dem Motto „Nur Dumme arbeiten länger” haben Fachleute errechnet, dass sich die Rente mit 63 sehr viel attraktiver als ursprünglich angenommen erweist. Danach muss der, der bis zum 65. Lebensjahr arbeitet, 100 Jahre alt werden, um in den Genuss der Vorteile aus der vorzeitigen Rente zu gelangen. (….)
bb) Das zeigt, dass der bis heute geltende Zwei-Generationen-Vertrageindeutig zu Lasten der Kinder und zu Lasten derjenigen geht, die Kinder haben. Damit ist der Zwei-Generationen-Vertrag ein Vertrag „zu Lasten Dritter”, nämlich künftiger Generationen.
Es werden extrem hohe Versorgungsanwartschaften fortlaufend begründet, die die nachfolgende Generation, egal wie groß sie ist, zu bezahlen hat. Andererseits wird das Zahlenverhältnis zwischen Erwerbstätigen und Rentnern immer ungünstiger, sodass auch insoweit die Jungen und Jüngsten der Bevölkerung unter der Last der immer größer werdenden Versorgungsverpflichtungen zu leiden haben.
Diese „Generationenungerechtigkeit” ist mit Blick auf die demographische Alterung der Gesellschaft ein ständig wachsendes Problem: 1960 machten die unter 20-Jährigen noch knapp ein Drittel der Bevölkerung aus und die über 60-Jährigen ein Sechstel. Bereits im Jahr 2020 wird sich dieses Verhältnis umgekehrt haben: die Jungen werden dann nur noch ein Sechstel der Bevölkerung darstellen und die Alten ein Drittel.
Mit dieser drastischen Verschiebung der Altersgruppen wächst die Gefahr, dass die Älteren durch ihr strukturelles Wählergewicht die politische Agenda bestimmen und die Zukunftsthemen verdrängen. Die Demokratie der Bundesrepublik Deutschland entwickelt sich zu einer „Rentner-Demokratie”.
Jüngstes Beispiel ist der vom Bundestag vergangenen Freitag (04.07.2014) beschlossene gesetzliche Mindestlohn. Davon gibt es nur wenige Ausnahmen: Eine – zugleich die wirtschaftspolitisch wichtigste – betrifft die Gruppe der unter 18-Jährigen. Während also ein 17-jähriger Schüler seinen Ferienjob beim Daimler für 6 €/h verbringen darf, erhält der 19-jährige Student an gleicher Stelle für die gleiche Arbeit 8,50 €/h.
Das überproportional hohe Gewicht der älteren Generation an und bei der „Willensbildung des Volkes” (Art. 20 Abs. 2 GG) geht auch aus den groß angelegten Untersuchungen des Rostocker Max-Planck-Instituts für demographische Forschung hervor, wonach ältere Bürger andere sozialpolitische Präferenzen als jüngere Bürger verfolgen.
So befürworten ältere Mitbürger, vor allem wenn sie kinderlos sind, wesentlich seltener eine Erhöhung des Kindergelds oder Steuererleichterungen für Kinder oder öffentliche Kinderbetreuung. In Zahlen ausgedrückt: dass ein 65-Jähringer eine Erhöhung des Kindergelds befürwortet, ist um 85 % weniger wahrscheinlich als die Zustimmung eines 20-Jährigen. Die Befürwortung von flexibleren Arbeitszeiten für Eltern ist um 50 % geringer.
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(aus: Verfassungklage “Wahlprüfungsbeschwerde gemäß § 48 BVerfGG” vom 7. Juli 2014. S.15f. – Die vollständige Original-Klage bei HBF-Premium)
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Kinder und Jugendliche sollten deshalb künftig wählen können, sobald sie sich in das örtliche Wählerverzeichnis eingetragen hätten:
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Was wollen wir?
Wir wollen, dass jeder Mensch wählen darf, sobald er das selbst möchte und kann – egal, welches Alter. Denn im Grundgesetz steht: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Aber derzeit sind 14 Millionen Menschen in Deutschland vom Wahlrecht pauschal ausgeschlossen – nur weil sie unter 18 Jahre alt sind.
Sollen Babys künftig zur Wahlurne krabbeln?
Nein, das ist natürlich Quatsch. Vielmehr muss der Grundsatz gelten: Jeder Mensch sollte sein Wahlrecht ausüben dürfen, sobald er selbst es kann und möchte – unabhängig vom Geburtstag. Es könnte also weiterhin eine reguläre Altersgrenze von 16 oder 14 Jahren geben (ab der man offiziell zur Wahl geladen wird). Aber wer schon früher wählen möchte, kann sich im Rathaus ins Wählerverzeichnis eintragen. Kleinkinder, die noch am Schnuller nuckeln, werden das aus schnell ersichtlichen Gründen kaum tun. Aber einige werden bereits mit 12 oder 13 Jahren wählen wollen. Mit dem vorher nötigen Gang ins Rathaus zur Eintragung ins Wählerverzeichnis wäre eine (….) Hürde eingezogen, damit nur solche junge Menschen wählen gehen, die dies auch tatsächlich können und wollen.
Dieser überraschende Vorstoß gegen das bestehende Wahlrecht kann nicht nur mit prominenter Unterstützung durch die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (SRzG), der Kinderinitiative „Plant-for-the-Planet und eine renommierte Anwaltskranzlei aufwarten:
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Sie werden unterstützt von der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, laut der Wirtschaftswoche dem „bekanntesten außerparlamentarischen Thinktank in Sachen Generationengerechtigkeit”, sowie der Kinderinitiative „Plant-for-the-Planet “. (…)
Rechtlich begleitet werden die jungen Kämpfer für das Wahlrecht ohne Altersgrenze von Prof. Michael Quaas, laut Handelsblatt-Ranking 2014 einem der „besten Anwälte Deutschlands”. Prof. Quaas hat die Kampagne „Wir wollen wählen” bisher unentgeltlich betreut. Erst im Falle einer Annahme der Klage und einer mündlichen Verhandlung in Karlsruhe wird er „mit einem Vorschlag auf uns zukommen, der dem Aufwand und der Bedeutung der Angelegenheit Rechnung trägt”, so ein Sprecher der Kampagne.
In seiner Begründung finden sich fundierte Einwände, auf deren Beurteilung durch das Bundesverfassungsgericht man tatsächlich gespannt sein kann:
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Kennen sich Kinder denn gut genug mit Politik aus?
Das Wissen über Politik ist kein guter Grund, um Menschen vom Wahlrecht auszuschließen. Weil es in einer Demokratie keine Wissenstests geben darf. Das Wort „Wahlreife“ ist nirgends definiert und wird bei niemandem geprüft. Niemand hat je von einem 30-, 50- oder 90-Jährigen einen Politik-Wissenstest verlangt. Und das aus gutem Grund, denn selbst an den einfachsten Fragen wären die meisten gescheitert: In repräsentativen Umfragen konnte kürzlich fast die Hälfte der stimmberechtigten Bürger nicht einmal den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme erklären. Die meisten hielten die Erststimme für die wichtigere Stimme – womit sie ziemlich daneben lagen. Mehr politische Bildung täte offensichtlich wohl allen Generationen gut.
Wir haben bei „Plant-for-the-Planet“ die Erfahrung gemacht, dass sich viele Kinder schon sehr früh sich kritisch und klug mit ihrer Welt auseinandersetzen, dass sie besser Englisch sprechen und mehr vom Internet verstehen als ihre Eltern und Großeltern. Und schauen wir uns jugendsoziologische und -psychologische Studien an, dann beweisen sie allesamt folgendes: Demnach sind junge Menschen heute bereits im Alter von 12 bis 15 Jahren fähig, so genannte formal-logische Denkoperationen durchzuführen (die höchste Stufe der kognitiven Entwicklung, die auch Erwachsene nicht überschreiten). Viele haben in diesem Alter auch schon eine stabile intellektuelle, soziale und moralische Urteilsfähigkeit erreicht. (….)
Es gibt auch keine Altersgrenze nach oben, obwohl man dafür auch Gründe erfinden könnte. In Deutschland leiden von derzeit rund eine Million Menschen unter den 62 Millionen Wahlberechtigten an Demenz. Sie dürfen trotzdem wählen. Doch 13-Jährige, die sich politisch engagieren, die noch ihre ganze Zukunft vor sich haben, sollen nicht wählen dürfen? Das ist absurd. Ebenso wenig, wie es ein Höchstwahlalter nach oben gibt, darf es ein Mindestwahlalter nach unten geben. Beides lässt sich nicht rechtfertigen.
Bei dem angestrebten Lösungsmodell für mehr Generationengerechtigkeit gibt es jedoch offenkundig noch erheblichen Diskussionsbedarf. So sollen einerseits nur Kinder und Jugendliche wählen dürfen, die sich zuvor in das Wählerregister eingetragen haben; andererseits fordert einer der – trotz seiner Jugend – prominenten BVG-Kläger für sich und seine Initiative das “Wahlrecht ab Geburt”:
Er gehört zu dieser Sorte junger Leute, denen früher, in einer anderen Erdzeit, das Wörtchen „altklug“ angehängt worden wäre. Felix Finkbeiner, einst Deutschlands jüngster Umweltaktivist, UN–Kinderbotschafter und inzwischen 16 Jahre alt, hat eigentlich immer irgendwie erwachsen gewirkt, seit er in der Öffentlichkeit steht. Mit neun Jahren startete er „Plant for the Planet“, eine Kampagne zur Rettung der Erdatmosphäre. Eine Million Bäume wollten Kinder pflanzen, um den Planeten vor der Zerstörung durch die Erwachsenen zu bewahren. Die Kampagne hat sich in 44 Länder ausgebreitet, insgesamt 13 Milliarden Bäume sollen gepflanzt worden sein. Und Felix Finkbeiner ist unterwegs zu neuen Zielen. Sein nächster Stopp als Politik-Aktivist soll Karlsruhe sein.
Zusammen mit 14 Kindern und Jugendlichen will Finkbeiner vor dem Verfassungsgericht durchsetzen, dass das Wahlalter in Deutschland herabgesetzt wird, auf null Jahre. Schon von Geburt an soll Kindern das Recht zustehen, die Zukunft mitzugestalten. Und bis sie selbst ein Kreuzchen machen können, könnten die Eltern dies übernehmen, treuhänderisch.
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Genau dieses Familienwahlrecht lehnt die “Wir wollen wählen”-Initiative jedoch ab:
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Demnach sind junge Menschen heute bereits im Alter von 12 bis 15 Jahren fähig, so genannte formal-logische Denkoperationen durchzuführen (die höchste Stufe der kognitiven Entwicklung, die auch Erwachsene nicht überschreiten). Viele haben in diesem Alter auch schon eine stabile intellektuelle, soziale und moralische Urteilsfähigkeit erreicht. Gleichzeitig sinkt der Einfluss des Elternhauses, während der von „peer groups“, also der gleichaltrigen Freunde, steigt. Dass jugendliche Wähler besonders stark von ihren Eltern beeinflusst würden, stimmt spätestens dann nicht mehr. Vielmehr wären es wohl die gleichaltrigen Freunde oder Geschwister, die im frühen Teenager-Alter Meinung und (Wahl-) Verhalten prägen würden. Weil aber auch wir verhindern wollen, dass Eltern das Gesetz brechen und die Stimmzettel ihrer Kinder ausfüllen, möchten wir die Briefwahl unterhalb einer bestimmten Altersschwelle verbieten, um eine Fremdbestimmung durch die Eltern auszuschließen.
Ob die “peer group” der Gleichaltrigen die Interessen von Kindern und Jugendlichen wirklich besser als die eigenen Eltern beurteilen kann, ist keineswegs ausgemacht, wenn man sich etwa die Steuerung des Konsumenverhaltens durch die Werbung ansieht (HBF-Premium).
Zudem ist fraglich, ob das zentrale Ziel der Initiative – ein Gegenmittel zur “Rentner-Demokratie” zu schaffen – mit der Beschränkung allein auf die politisch interessierten Kinder und Jugendlichen überhaupt erreichbar ist. Schon heute liegt die Wahlbeteiligung der unter 30-jährigen fast um ein Drittel niedriger als bei der Gruppe der über 60-jährigen – Tendenz weiter sinkend (vgl. dazu HBF-Infodienst 25.09.13). Da erscheint das Familienwahlrecht” mit der treuhänderischen Stimmabgabe der Eltern für ihre Kinder besser geeignet, um die potentielle Macht der 16 Millionen Kinder- und Jugendlichen in die politischen Wagschale zu werfen.