Trotz schwindendem Nachwuchs und der Dauerklage der Wirtschaft über einen immer größeren Fachkräftemangel (HPL) spart die Politik sich weiterhin eine umfassende Investitionsoffensive im Bildungsbereich (HPL). Eine TV-Dokumentation (HPL) rechnete gerade wieder vor (vgl. dazu z.B. HBF-Infodienst 2012), warum die seit einigen Jahren politisch forcierte Strategie der “Weltoffenheit” für Staat und Wirtschaft die kostengünstigere “Lösung” ist (vgl. dazu auch HBF-Themen-Archiv). Der neue Nahostkrieg und die Reaktionen darauf (HPL) zeigen jedoch schlagartig die versteckten Kosten dieser Billigstrategie (HPL). Dabei lassen die polit-medialen Reflexe zudem eine offenkundige Überforderung mit der neuen “Herausforderung” erkennen (HPL), die auch jenseits des aktuellen Anlasses künftig an Dynamik gewinnen dürfte (HPL).
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HBF-VOLLTEXT
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Trotz schwindendem Nachwuchs und der Dauerklage der Wirtschaft über einen immer größeren Fachkräftemangel….
Ausbildungsangebote gibt es genug, Bewerber dagegen nicht.
Foto: dpa
Ausbildungsmarkt in Deutschland
BETRIEBE SUCHEN FAST 200.000 AZUBIS
Immer mehr Betriebe suchen auch 2014 vergeblich nach Nachwuchs. Auch in Berlin steigt die Zahl der offenen Stellen. Insgesamt waren nach Angaben im Juni dieses Jahres noch 194.000 Stellen unbesetzt. In den kommenden Jahren könnte die Zahl noch steigen. Wir benennen die Gründe.
Von Stefan Sauer und Matthias Loke
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….spart die Politik sich weiterhin eine umfassende Investitionsoffensive im Bildungsbereich:
Der neue Haushalt ist für Bundesfinanzminister Schäuble ein “Meilenstein”. Erstmals seit 1969 will der Finanzminister ab 2015 keine neuen Schulden machen. Experten widersprechen: Schäuble sorgt für unabsehbare Kosten in den Folgejahren, weil notwendige Investitionen in die Infrastruktur unterbleiben. Was heute nicht ordentlich gewartet wird, muss morgen teuer bezahlt werden, das zeigen hunderte marode Brücken bundesweit. (…)
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Ferdinand Fichtner, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)
„Die schwarze Null als Ziel ist für sich genommen nicht unbedingt hilfreich. Es ist ein politisches Ziel, aber es ökonomisch nicht wirklich nachvollziehbar, dass auf Investitionen verzichtet wird, um diese schwarze Null zu erreichen. Zumal das eben dann auch als Signal auf die Länder und Gemeinden ausstrahlt. Und vielleicht auch da Investitionen zurückhält.“
Das lässt sich schon heute im Kleinen begutachten. Der Berliner Schulleiter Rainer Leppin erträgt die maroden Zustände an seiner Schule kaum noch. Gleich zu merken an der kaputten Türklinke am Haupteingang. Und unter dem Dach mischt sich in den Musikunterricht zuweilen der Klang von Regentropfen.
„Ich hab ständig Angst, dass hier die Fenster rausfallen, die Fensterscheiben und für die Schüler ist es teilweise unzumutbar, dass sie im Zug dort sind, mal ganz abgesehen von den Heizkosten , die natürlich immens in die Höhe schnellen. Umso absurder, wo wir eine Klimaschule sind, das heißt wir machen Projekte zur Nachhaltigkeit und quasi im eigenen Klasseraum, da hört die Nachhaltigkeit auf.“
Eine Million Euro braucht allein diese Schule für die Sanierung. Doch sie bekommt nur einen winzigen Bruchteil davon (…)
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Prof. Gustav Horn, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK)
„Die Investitionen waren in den letzten 10, 11 Jahren sehr schwach, sie haben sich kaum nach oben entwickelt, während der Verschleiß, der in den ersten Jahren relativ langsam startete, sich im Laufe der Zeit immer mehr beschleunigt hat und immer größer geworden ist. So dass jetzt der Verschleiß größer ist als die Investition. Mittlerweile hat sich hier ein Fehlbetrag, das nennt sich negative Negativinvestition, aufkummuliert, der mittlerweile etwa 40 Mrd. Euro beträgt. Diese 40 Milliarden Euro, das ist eine versteckte Schuld, die in der schwarzen Null nicht zum Ausdruck kommen.“
Selbst die längst überfällige Bafög-Erhöhung soll erst 2016 kommen und ist zudem noch weiter politisch umstritten….(HBF-Premium)…
Eine TV-Dokumentation rechnete gerade wieder (vgl. z.B. HBF 01.08.12) vor, warum die seit einigen Jahren politisch forcierte Strategie der “Weltoffenheit” für Staat und Wirtschaft die kostengünstigere “Lösung” ist:
DER ARBEITSMARKTREPORT – DAS MÄRCHEN VOM FACHKRÄFTEMANGEL
Film von Ulrike Bremer
„Ingenieursmangel! Ärztemangel! Zu wenig IT-Spezialisten!“ und „Wenn wir nicht gegensteuern, geht es bergab mit Deutschland.“ Das sind alltägliche Schlagzeilen, mit denen Politik gemacht wird. „Der Arbeitsmarktreport“ deckt die Hintergründe des seit Jahrzehnten beklagten Fachkräftemangels auf. Tatsächlich lenkt der lautstarke Hilferuf bewusst ab von gewichtigen Problemen: Lohndumping und Arbeitslosigkeit. Akteure in diesem Spiel sind Lobbyverbände der Wirtschaft, die zusammen mit den Politikern und der Bundesagentur für Arbeit den Arbeitskräftemarkt in Deutschland gestalten.
Kaum ein Lobbyverband hat sich so vehement dafür eingesetzt, ausländische Fachkräfte ins Land zu holen, wie der Verein Deutscher Ingenieure (VDI). Ingenieure selbst sind es, die dem Verein vorwerfen, er lasse sich von Unternehmen instrumentalisieren und drücke das Mindestgehalt. Weil der Ingenieursverband regelmäßig mit Horror-Zahlen aufwartet, hat man den Ingenieursberuf zum Mangelberuf erster Klasse erklärt und erlaubt Unternehmen jetzt, hochqualifizierte ausländische Fachkräfte einzustellen, zu einem Mindestlohn von 32.500 Euro im Jahr. Früher lag diese Grenze bei 66.000 Euro. Mit Blue Card und europäischer Freizügigkeit sollen Fachkräfte aus Spanien, Griechenland, Rumänien und Bulgarien auf den deutschen Arbeitsmarkt strömen. (…)
Der neue Nahostkrieg und die Reaktionen darauf zeigen jedoch schlagartig die versteckten Kosten dieser Billigstrategie. Es genügt eben nicht, die eingewanderten Fachkräfte nur in den Arbeitsmarkt zu integrieren oder von ihnen die Beherrschung der deutschen Sprache zu verlangen, sondern genauso wichtig ist ihr Einbindung in den Wertehorizont unserer Gesellschaft. Das zeigt die aktuell scharf geführte Debatte um antisemtische Tendenzen bei den derzeitigen Protesten gegen den laufenden Krieg zwischen Israel und der Hamas.
Der Meinungskampf um Gaza findet auch auf deutschen Straßen statt. Dabei gehen Kritik an Israel und Antisemitismus ineinander über. Wo muss man die Grenze ziehen?
Der Nahostkonflikt reicht weit in unsere Gesellschaft
Ein Kommentar von Stephan Detjen, Hauptstadtstudio
Wenn Israel seine Armee in Marsch setzt, bricht sich Judenhass Bahn. Doch es ist nicht der deutsche und europäische Antisemitismus der 1930er-Jahre, der hier wiederbelebt wird – meint Stephan Detjen.
(…)
Die jungen Männer, einzelne Frauen und Kinder, die heute mit den Parolen von damals durch Fußgängerzonen und Straßen in Berlin, Frankfurt, Essen und anderen Städten ziehen, sind Migranten arabischer und zum Teil auch türkischer Herkunft. Sie kündigen den Grundkonsens auf, der die Nachkriegsgesellschaft der Bundesrepublik geprägt und vereint hat. Er tabuisierte und sanktionierte jeden Ausdruck des Antisemitismus durch das Strafrecht sowie durch soziale Ausgrenzung.
(…) Die antisemitischen Parolen dieser Tage meinen die Juden, aber sie treffen den Kern der deutschen Gesellschaft. Die Rufe hallen aus einem kulturellen Abgrund hervor, der zugleich eine Grenze aller Integrationsbemühungen der vergangenen Jahre markiert.
Zu einem realistischen Bild der Problematik (…) gehört aber auch die siebenköpfige palästinensische Familie, die gestern Abend offenbar zum Opfer eines israelischen Militärschlags im Gaza-Streifen wurde. Mindestens ein Familienmitglied soll einen deutschen Pass gehabt haben. (…) °
Diese polit-medialen Reflexe lassen bei aller Berechtigung allerdings auch Anzeichen einer Überforderung mit der neuen “Herausforderung” erkennen. Die antisemtischen Züge des Protests gegen Israel nur als Konflikt zwischen dem etablierten Konsens in Deutschland und radikalisierten muslimischen Einwanderergruppen zu beschreiben, greift offenkundig zu kurz:
Ein Bild von Trauer und Wut: Bei der israelischen Bombardierung eines Strandes in der Stadt Gaza wurden am Mittwoch vier Kinder getötet. Foto: dpa
JÜRGEN TODENHÖFER zum Nahost-Konflikt
„Der Hass vertieft sich weiter“
Der Publizist Jürgen Todenhöfer wirft Israel Maßlosigkeit im Konflikt mit den Palästinensern vor. Im Interview mit unserer Zeitung spricht er über die öffentliche Wahrnehmung, die Kraft der Raketen und das Leid der Menschen.
Zehntausende Kinder traumatisiert, mindestens 670 Tote
Ein Ende des Blutvergießens im Konflikt zwischen Israel und der radikalen Hamas ist nicht abzusehen. Laut der Hilfsorganisation “Save the Children” bräuchten 72.000 Kinder psychologische Hilfe.
Die israelische Militäroffensive im Gaza-Streifen geht in die dritte Woche. Ziel des Einsatzes ist es, den andauernden Raketenbeschuss auf israelisches Gebiet und direkte Angriffe von Anhängern der radikalen Hamas zu unterbinden, die durch Tunnels aus dem Gaza-Streifen nach Israel gelangen. Trotz internationaler Vermittlungsbemühungen ist kein Ende der Gewalt in Sicht.
Zahl der Toten steigt auf 670
Bei den Kämpfen sind am Dienstag zwei weitere israelische Soldaten getötet worden. Wie das israelische Militär am frühen Mittwochmorgen mitteilte, starben damit bisher bei dem Militäreinsatz insgesamt 29 israelische Soldaten.
Auch zwei israelische Zivilisten kamen zu Tode. Die Zahl der palästinensischen Toten ist auf 639 gestiegen. Rund 4040 Menschen seien bei den Angriffen verletzt worden, teilte der Leiter der Rettungskräfte im Gaza-Streifen, Aschraf al-Kidra, am Mittwoch mit.
Rolf Verleger, ehemaliges Direktoriums-Mitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland, wundert sich nicht über die neue Welle des Antisemitismus im Land. Im Deutschlandfunk warf er Repräsentanten des Judentums vor, jede Kritik an Israel als antisemitisch zu erklären. Es müsse erlaubt sein, die israelische Politik zu kritisieren.
(….)
Armbrüster: Herr Verleger, rechtfertigt denn eine Kritik an Israel, eine mögliche Kritik, rechtfertigt die, dass man durch Berlin läuft und antisemitische Parolen grölt?
Verleger: Nein, in keiner Weise. Aber wer hat uns das denn eingebrockt? Wenn unsere Politiker alle sagen, ja, das ist völlig richtig, was Israel macht, wenn unsere Medien sagen, ja, das ist völlig richtig, was Israel macht, wenn die Repräsentanten des Judentums nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich zum Beispiel sagen, ja, das ist doch ganz klar, wer gegen Israels Maßnahmen ist, der ist gegen Juden, dann fordert man ja solche antisemitischen Parolen geradezu heraus. Es ist doch eine Absurdität, diese Gewaltbereitschaft, diesen nationalreligiösen Hass, der sich in der israelischen Gesellschaft aufgestaut hat, das mit der jüdischen Tradition von Nächstenliebe und dass das mal eine Religion war der tätigen Moral, wie es der Rabbiner Leo Baeck, der Führer des Judentums in Nazi-Deutschland, gesagt hat, das ist doch was völlig anderes geworden. Das muss man doch sehen und muss darauf reagieren. Man kann doch nicht jeden Quatsch, den Israel da macht, mitmachen.
(….)
Armbrüster: Können Sie es denn verstehen, wenn viele deutsche Politiker vorsichtig sind mit Kritik an Israel, allein wegen der deutschen Geschichte?
Verleger: Nein, das kann ich nicht mehr verstehen. Ich meine, was hat das mit meiner ermordeten Verwandtschaft zu tun, dass da jetzt ein solches Unrecht im Nahen Osten geschieht? Man kann doch nicht mit Verweis auf schreckliche Dinge in der Vergangenheit weiter heute Unrecht geschehen lassen. Das ist die völlig falsche Lehre, die da gezogen wird. Ich kann das nicht mehr verstehen. Ich finde, das sind Angsthasen, und ich finde, sie sollten mal das sagen, was sie nach abgeschalteten Mikrofonen sagen. Das sollten sie mal bei laufenden Mikrofonen sagen.
Zwei Drittel der Israelis befürworten den Gaza-Krieg. Wer dagegen ist, hat einen schweren Stand: Kritische Journalisten werden angefeindet, Demonstranten verprügelt. Abgeordneten droht gar der Verlust der Staatsbürgerschaft.
(…) Gideon Levy (….) Der preisgekrönte Journalist hat es gewagt, die Piloten der israelischen Luftwaffe zu kritisieren. Sie gelten als Elite. Levy schrieb unter dem Eindruck der Bomben auf Gaza, die hauptsächlich Zivilisten töten: “Sie sind Helden, die die Schwächsten bekämpfen, hilflose Menschen ohne Luftwaffe und ohne Flugabwehrsystem. Manche haben nicht einmal einen Drachen, den sie steigen lassen können.” (…)
Friedensdemonstrationen werden angegriffen
Der Journalist ist kein Einzelfall. Im Angesicht des Krieges herrscht vielerorts eine nationalistische oder gar rassistische Stimmung. Am Montagabend zogen in Jaffa bei Tel Aviv Hunderte Rechte unbehelligt durch die Straßen und skandierten “Tod den Arabern!”. (…)
Kaum jemand stört sich an der feindseligen Hetze
Seit die extreme Rechte und die radikale Siedlerfraktion mitregieren, gehört selbst bei Kabinettsmitgliedern Rassismus zum Repertoire. Das bekam auch ein Dachverband der arabischen Israelis zu spüren, als er aus Solidarität zu den Opfern in Gaza zu einem Tag des Streiks aufrief. Außenminister Lieberman forderte prompt jüdische Israelis dazu auf, die Läden der streikenden Araber künftig zu boykottieren. (…)
(….) Laut spricht der stellvertretende Parlamentssprecher Moshe Feiglin von der regierenden Likud-Partei seinen Plan aus: “Gaza ist Teil von unserem Land.” Rücksichtslos solle Israel den Gazastreifen erobern und besiedeln. Die Palästinenser will er nach Ägypten in den Sinai schicken.
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Daß Integrationskonflikte dieser Art auch jenseits des aktuellen Anlasses künftig an Dynamik gewinnen dürften, zeigt der Blick auf die Zahl und die Herkunft der politisch forcierten Einwanderer/innen….
Arbeitsmarktexperten fordern mehr Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern. Immigranten immer besser qualifiziert
Von Dorothea Siems
Nur mit einer gesamtgesellschaftlichen Kraftanstrengung wird Deutschland im weltweiten Kampf um die klügsten Köpfe erfolgreich sein. Diese These vertritt die Bertelsmann-Stiftung, die gemeinsam mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) ein ambitioniertes Zuwanderungskonzept entwickelt hat. (…) “Vor der Krise zog es Rumänen, Polen oder Bulgaren vor allem nach Spanien, Italien, Irland oder Großbritannien”, sagt IAB-Experte Herbert Brücker. Doch die Krise habe diese Länder unattraktiver werden lassen. Davon profitiere Deutschland. Der Ökonom warnt jedoch davor, diesen Trend für dauerhaft zu halten. Denn alle Länder Europas hätten ähnliche Probleme mit der Überalterung und dem daraus resultierenden Fachkräftemangel. “Die Zuwanderung der Zukunft wird aus den Staaten der früheren Sowjetunion sowie aus Nordafrika und dem Nahen Osten erfolgen müssen”, sagt Brücker. Die Integration dieser Menschen in die hiesige Gesellschaft werde allerdings schwieriger sein als die relativ problemlose Eingliederung der Osteuropäer. “Eine Kuschel-Veranstaltung wird das nicht”, prophezeit der Arbeitsmarktforscher. Umso wichtiger sei es, diesen Prozess zu steuern.