KINDERGELD wird 60 Jahre alt:
Ungerecht oder schädlich?
– Die (weiterhin) UNVERSTANDENe Familienleistung
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HBF-Aktuell, Tübingen 13. Oktober 2014, erstellt 14:45 Uhr, Stand  14.10.14, 12:18 Uhr
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Morgen wird das "Kindergeld" 60 Jahre (HPL). Für Redaktionen Anlaß, sich wieder über Sinn oder Unsinn dieser familienpolitischen Leistung Gedanken zu machen (HPL). Allerdings demonstrieren sie dabei – gestützt auf das "Wissen" tonangebender Experten (HPL) – bedauerlicherweise eine fundamentale Unkenntnis der Materie. So genügt bereits der prüfende Blick in die einschlägigen Statistiken des Bundesfinanzministeriums, um die gebetsmühlenhaft wiederholte Zahl von den 38 Mrd. Euro Kindergeld-Förderung als wirklichkeitsfremd erkennen zu können. Noch aufschlußreicher wäre zudem die Lektüre der ausführlich begründeten Urteile des Bundesverfassungsgerichtes zur Funktion des vermeintlichen Kindergeldes (HPL).
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, wenn die schwarz-rote Bundesregierung bei ihrem Konzept zur Zukunftssicherung des Landes (vgl. Koalitionsvertrag), die im Bundestagswahlkampf suggerierte "Kindergeld"-Erhöhung nach ihrem Wahlsieg als "unfinanzierbar"  eingestuft hat (vgl. HBF 2013). Angesichts der bedrohten Konjunktur und möglichen Steuerrückgängen (vgl. HBF 2014) ist stattdessen mit einer Rückkehr der Debatte um eine erhöhte "Zielgenauigkeit" (vgl. zuletzt HBF 2014) dieses staatlichen "Geschenks" zu rechnen. Eine Lösung für die Nachwuchsprobleme unseres Landes ist davon allerdings nicht zu erwarten.
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HBF-VOLLTEXT
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Morgen wird das "Kindergeld" 60 Jahre:

Mannheimer Morgen, Montag, 13.10.2014

Kindergeld: Vor 60 Jahren beschloss der Bundestag, Familien unter die Arme zu greifen / Heute fließen jährlich 38 Millionen* Euro
 Bei drei Kindern gab es 45 Mark
 Von dpa-Korrespondent Jonas-Erik Schmidt
 
(…) Nach heftiger Debatte rang sich der Bundestag mit knapper Mehrheit zu einem neuen Fördermittel für Familien in West-Deutschland durch: Er beschloss die Einführung des Kindergeldes. Das war am 14. Oktober 1954 – also morgen vor 60 Jahren.

*HBF-Hinweis: Tatsächlich sollen es ja 38 Milliarden sein. Dieser Fehler in der Überschrift steht wohl exemplarisch für die Nachlässigkeit, mit der große Teile der Presse diesem Thema begegnen.

Taz 13.10.14
 FAMILIENFÖRDERUNG
Kindergeld wird 60 Jahre alt
 
Für Redaktionen ist der "Kindergeld"-Geburtstag Anlaß, sich wieder über Sinn oder Unsinn dieser familienpolitischen Leistung Gedanken zu machen:
 HEIDE OESTREICH ÜBER 60 JAHRE KINDERGELD
Ab in die Rente!
 
(…) Es ist so muffig und ungerecht wie die Fünfziger-Jahre-Familie.
Es ist eine geradezu ständische Leistung: Die Reichen bekommen am meisten. (…) Am anderen Ende der Einkommensskala gibt es den entgegengesetzten Effekt: Bekommt eine Familie Sozialleistungen, dann gilt das Kindergeld als Einkommen, und das wird angerechnet. Im Klartext: Hartz-IV-Kinder bekommen: nichts.
 
SÜDDEUTSCHE ZEITUNG vom 13.10.2014
KINDERGELD
Der anerkennende Staat
Das System wirkt ungenau und ist dennoch ein richtiges Signal
Von Marc Beise
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(….) „Das Kindergeld hat sich bewährt“, sagt Manuela Schwesig. „Es ist ein wichtiger Schutz vor Armut für viele Familien.“
Dieser Satz ist richtig und falsch zugleich. Denn das Kindergeld ist erschreckend unscharf in seiner Wirkung. In vielen Familien hilft es nicht wirklich, in anderen ginge es gut auch ohne. (…)

 

 

Allerdings demonstrieren die Redaktionen bei ihren Gedanken zum familienpolitischen Geburtstagskind – gestützt auf das "Wissen" tonangebender Experten – bedauerlicherweise eine fundamentale Unkenntnis der Materie.
 Heute ist das Kindergeld eines der größten Förderinstrumente der Familienpolitik. Zuletzt kostete es rund 38 Milliarden Euro, gezahlt für etwa 17,2 Millionen Kinder. Seit seiner Einführung ist es umstritten – weil sich von Beginn an unterschiedliche Argumentationsstränge kreuzten. Die einen sehen in ihm den Versuch, ein Armutsrisiko abzufedern. Andere ein Lockmittel des Staates, Kinder zu bekommen – eine Art Gebärprämie. Je nach Sichtweise wird sein Nutzen auch in Studien unterschiedlich bewertet.
 "Letztendlich handelt es sich um einen pauschalen Kostenausgleich, der mit der Gießkanne verteilt wird", kritisiert der Sozialforscher Klaus Hurrelmann von der Berliner Hertie School of Governance. "Kinder haben mehr Bedürfnisse, als nur nicht in Armut zu leben." Statt über eine Erhöhung zu diskutieren, sollte aus seiner Sicht mehr in direktere Fördermittel investiert werden – etwa in den Bau von Krippen und Kitas.
(aus: Kindergeld: Vor 60 Jahren beschloss der Bundestag, Familien unter die Arme zu greifen… Bei drei Kindern gab es 45 Mark. Mannheimer Morgen, Montag, 13.10.2014)
 
Und auch Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) steht hinter dem Kindergeld: "Das Kindergeld hat sich bewährt. Es ist ein wichtiger Schutz vor Armut für viele Familien."
Einige Wissenschaftler bezweifeln das. Eine Studie mit dem schlichten Titel "Kindergeld" des Ifo-Instituts in München kam 2013 zu dem Schluss: Kindergeld in seiner jetzigen Form hilft armen Familien nicht. Selbst ein höheres Kindergeld würde die wirtschaftliche Situation von Familien nicht verbessern, hieß es. Die Untersuchung zeige unter anderem, dass deren durchschnittliches Haushaltseinkommen sinke, weil erhöhte Transferzahlen des Staates vor allem Frauen dazu ermutigten, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Unter dem Strich stehe dann ein Minus.
(aus: Sozialgeschichte:  "Weltfremder Barrikadenkletterer" erfand Kindergeld. Welt Online 12.10.14)

 

HBF-Hinweis: Zur methodischen Fragwürdigkeit der ifo-"Kindergeld"-Studie, die selbst einzelnen Journalisten aufgefallen ist vgl. HBF 03.05.2013
 
So genügt bereits der prüfende Blick in die einschlägigen Statistiken des Bundesfinanzministeriums, um die gebetsmühlenhaft wiederholte Zahl von den 38 Mrd. Euro Kindergeld-Förderung als wirklichkeitsfremd erkennen zu können.
Es gibt heute rd. 17,2 Mio. Kinder, für die Kindergeld gezahlt wird. Der finanzielle Um­ fang des Familienleistungsausgleichs beträgt im Jahr 2013 insgesamt rd. 41 Mrd. €. Davon entfallen rund 38 Mrd. € auf das Kindergeld und rund 3 Mrd. € auf die Zusatzentlastung durch den Kinderfreibetrag. Rund 23 Mrd. € dienen der Freistellung des Existenzmini­mums, der Förderanteil beträgt rund 18 Mrd. € (Tabelle 2.8.1.).
(aus: Datensammlung zur Steuerpolitik. Ausgabe 2013. März 2014, S. 4)
siehe dazu z.B:
  • Das 35-Milliarden-Euro- "Kindergeldgeschenk" – Eine Lesehilfe für die Regierungsstatistik. (HBF 04.02.08)
Noch aufschlußreicher wäre zudem die Lektüre der ausführlich begründeten Urteile des Bundesverfassungsgerichtes zur Funktion des vermeintlichen Kindergelds. Es dient nicht nur dazu den lebensnotwendigen Mindestbedarf von Kindern wie bei Erwachsenen (Stichwort "steuerlicher Grundfreibetrag") von Steuern zu verschonen und bei sehr vielen Familien mit einer "Teilförderung" überhaupt abzusichern. Seine zweite, zentrale Funktion ist den Einkommensnachteil von Eltern gegenüber Kinderlosen auf der gleichen Einkommensstufe wenigstens abzumildern:
Im Rahmen dieser Prüfung muß zwischen "vertikaler" und "horizontaler" Steuergerechtigkeit unterschieden werden. In vertikaler Richtung muß die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen. In horizontaler Richtung muß darauf abgezielt werden, daß Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch besteuert werden …. Im Verhältnis zu kinderlosen Steuerpflichtigen gleicher Einkommensstufe, also auf horizontaler Ebene, kann die steuerliche Mehrbelastung von Steuerpflichtigen mit unterhaltsbedürftigen Kindern durch den eingangs genannten Umstand nicht gerechtfertigt werden. Andernfalls wäre, sofern nur das Einkommen hoch genug ist, jede steuerliche Ungleichbehandlung auf horizontaler Ebene hinzunehmen und das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit außer Kraft gesetzt. (….)
Eine Durchbrechung der horizontalen Steuergerechtigkeit kann nicht mit dem Gedanken der vertikalen Steuergerechtigkeit legitimiert werden. Der Gesetzgeber darf Bezieher höherer Einkommen nur in einer Weise stärker besteuern, die zugleich dem unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Grundsatz der horizontal gleichmäßigen Besteuerung Rechnung trägt. Er wäre danach beispielsweise nicht gehindert, die Steuerausfälle, die durch die Berücksichtigung von höheren Kinderfreibeträgen entstehen, durch eine Verschärfung des Steuersatzes und (oder) der Steuerprogression auszugleichen. Er darf aber nicht Bezieher höherer Einkommen mit unterhaltsbedürftigen Kindern starker besteuern als Einkommensbezieher gleicher Stufe ohne Kinder.
(aus:  Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, BVerfGE, 82, 60, 29. Mai 1990 – Steuerfreies Existenzminimum)
siehe dazu z.B.: Horizontaler Einkommensvergleich von Kinderlosen und Eltern des Deutschen Familienverbandes für 2014 – in: HBF 24.01.14
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Angesichts der fehlenden Sachkenntnis vieler Journalisten/innen ist es nicht verwunderlich, wenn die schwarz-rote Bundesregierung bei ihrem Konzept zur Zukunftssicherung des Landes (vgl. Koalitionsvertrag – in: HBF 27.11.13), die im Bundestagswahlkampf suggerierte "Kindergeld"-Erhöhung nach ihrem Wahlsieg als "unfinanzierbar"  eingestuft hat (vgl. HBF HBF 11.11.13)). Angesichts der bedrohten Konjunktur und möglichen Steuerrückgängen (vgl. HBF 10.10.14) ist stattdessen mit einer Rückkehr der Debatte um eine erhöhte "Zielgenauigkeit" (vgl. zuletzt HBF 29.01.14) dieses staatlichen "Geschenks" zu rechnen. Eine Lösung für die Nachwuchsprobleme unseres Landes ist davon allerdings nicht zu erwarten.
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Zum Thema siehe auch:
 

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