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Beim Kampf gegen den drohenden Konjunkturabsturz ruhen alle Hoffnung auf der Erhöhung der Investitionen:
Elemente einer wachstumsorientierten WirtschaftspolitikINVESTITIONSANREIZE SETZEN°Eine wichtige Rolle für das künftige Wachstum spielen Anreize zur Vergrößerung und Modernisierung des Kapitalstocks. In einer Volkswirtschaft, in der absehbar ist, dass das Arbeitsangebot sinken wird, liegt es nahe, zu einer kapitalintensiveren Produktionsweise überzugehen, sei es durch ein höheres Sachkapital, sei es durch Schaffung von Wissen. Nach der Mittelfristprojektion der Institute dürfte jedoch der Beitrag des Kapitalstocks zum Wachstum in den kommenden Jahren sogar geringer ausfallen als in den vergangenen fünf Jahren (Kapitel 4). Dabei hat die Politik mehrere Hebel in der Hand, um die Kapitalakkumulation zu fördern.(aus: Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2014: Deutsche Wirtschaft stagniert – Jetzt Wachstumskräfte stärken.)°°Frankreich fordert von Deutschland höhere Ausgaben„Berlin kann sich das leisten“ / Bundesregierung: Wir bleiben bei der schwarzen Null°chs./ban. PARIS/BERLIN, 19. Oktober. Die französischen Minister für Finanzen und Wirtschaft, Michel Sapin und Emmanuel Macron, haben in einem Gespräch mit dieser Zeitung gefordert, dass Deutschland in den kommenden drei Jahren so viel investiere, wie Frankreich sparen wolle. „50 Milliarden Euro Einsparungen bei uns und 50 Milliarden zusätzliche Investitionen bei Ihnen – das wäre ein gutes Gleichgewicht“, sagte Wirtschaftsminister Macron im Pariser Finanzministerium. (…)
Nur vereinzelt dämmert politischen Beobachtern die Erkenntnis, daß dies nicht nur ein finanztechnisches Problem ist:
Zunächst das Negative: Kaum ein Land auf der Welt altert so schnell wie die Bundesrepublik. In den 2020er Jahren – also bereits im nächsten Jahrzehnt – wird sich die Alterszusammensetzung der Bevölkerung radikal verschieben. Die demographische Wende, die bislang schleichend und kaum spürbar abläuft, droht dann zur demographischen Krise zu werden.Die Zahlen sind erschreckend: Heute müssen 100 Deutsche im arbeitsfähigen Alter 50 Alte und Kinder vorsorgen. Bis 2030 wird sich dieses Verhältnis auf 100 zu 70 verschlechtern, wie die Bevölkerungsvorhersage der Vereinten Nationen zeigt. Eine dramatische Veränderung binnen anderthalb Jahrzehnten. Nur Japans demographische Zukunft stellt sich noch düsterer dar.Diese Prognosen sollten uns aufschrecken. Denn bereits heute schmälern sie unseren Wohlstand. (…)Die Unternehmen investieren zu wenig in Deutschland, seit Jahren schon. Warum? Sicher, Energie ist absurd teuer. Die Euro-Krise ersteht gerade wieder auf wie ein Zombie aus der feuchten Erde. Noch abschreckender aber sind die trüben demographischen Perspektiven. Anders lässt sich kaum erklären, warum hierzulande die Produktion nicht stärker ausgeweitet wird – obwohl die Bundesrepublik doch so gnadenlos wettbewerbsfähig ist, wie unsere hohen Exportüberschüsse und diverse Standortrankings belegen.DEMOGRAPHIE KONTRA ÖKONOMIE: Wer unternehmerisch investiert, der tut das mit langem Zeithorizont – die Zukunftsaussichten für die nächsten Jahrzehnte sind wichtiger als die Gegenwart. Und eine alternde Gesellschaft ist nun mal kein attraktives Umfeld, weder als Absatzmarkt noch als Produktionsstandort. Unternehmer binden sich nur ungern an das Schicksal einer notorischen Schrumpfnation.Daran werden all die Maßnahmen nichts ändern, die derzeit gegen den Konjunkturabschwung in der Diskussion sind: schuldenfinanzierte staatliche Ausgabenprogramme, schrankenloses Gelddrucken durch die EZB, Steuererleichterung. Das größte Investitionshindernis bleibt.(aus: Streit um Konjunktur: Investieren wir in Einwanderung! Ein Debattenbeitrag Henrik Müller. SPIEGEL Online 19. Oktober 2014, 08:15 Uhr)
Der Ausweg aus dem Dilemma ist allerdings nicht nur beim SPIEGEL von der zeitgeisttypischen Kurzsichtigkeit geprägt:
Streit um Konjunktur:Investieren wir in EINWANDERUNG!Die Bundesregierung sorgt sich wegen der schwachen Konjunktur und streitet über die richtigen Maßnahmen. Dabei liegt das beste Wachstumsprogramm so nahe: Die aktuelle Einwanderungswelle bietet eine Jahrhundertchance.Ein Debattenbeitrag Henrik Müller.
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Doch nun das Positive: Gerade jetzt hätte Deutschland die Chance, seine demographischen Aussichten entscheidend zu verbessern. Denn viele Menschen kommen nach Deutschland – 1,2 Millionen waren es im vorigen Jahr. Und noch mehr würden gern kommen, um hier zu leben und zu arbeiten, Familien zu gründen, Kinder großzuziehen.Wir dürfen uns nichts vormachen: Es ist nicht so, dass Deutschland so viele Immigranten anzieht, weil sie hier so großartige Entfaltungsmöglichkeiten vorfinden. Sie kommen, weil die Lebensbedingungen in ihren Heimatländern so miserabel sind. Es ist die Not, die sie treibt – nicht unsere Attraktivität.Viele von ihnen werden nur auf Dauer bleiben, wenn wir sie dazu einladen. Sie werden sich nur integrieren in Gesellschaft und Arbeitsmarkt, wenn wir ihnen rasch eine Perspektive eröffnen. Wenn sie von Anfang an die Sprache lernen und unsere Sitten und Kultur kennenlernen. Wir müssen direkt und aktiv auf sie zugehen.Ein großangelegtes Integrationsprogramm wäre in unserem eigenen Interesse. Dafür lohnt es sich tatsächlich, viel Geld auszugeben. Es wäre das beste Konjunkturprogramm, weil die Bundesrepublik dadurch langfristig ihre ökonomischen Aussichten verbessern könnte. Dass hingegen große Infrastrukturprojekte in einer schrumpfenden Gesellschaft wenig bringen, hat das vergreisende Japan in den vergangenen Jahrzehnten eindrucksvoll bewiesen. (…)°°WirtschaftFLÜCHTLINGEEinwanderung bereichertVon Marc Beise°In der Welt geht es übel zu. Terror im arabischen Raum, Russland auf imperialistischem Trip, Hunger in Afrika. Das Elend, das den meisten Deutschen bisher nur eine ferne Ahnung ist, kommt näher. Angekommen ist es schon in Gestalt von Flüchtlingen und Asylsuchenden. (….)Viel, viel wird kommen, genauer: Viele werden kommen. Noch sind es begrenzte Konflikte, die Menschen in die Flucht schlagen, aber das ist erst der Anfang. Aus dem konfliktträchtigen Nahen Osten und aus Afrika, wo die Bevölkerungszahlen explodieren, werden mutmaßlich immer mehr Menschen aufbrechen gen Norden (…)Zuwanderer sind für eine Gesellschaft nicht Bedrohung, sondern Chance. Zumal für ein Deutschland, dem es wirtschaftlich – ungeachtet der Konjunkturprobleme – zwar immer noch vergleichsweise gut geht, das aber zunehmend Schwierigkeiten haben wird, das Wohlstandsniveau auch nur annähernd zu halten. Der internationale Wettbewerb wird härter, die digitale Revolution tobt anderswo, und der demografische Wandel ist nicht aufzuhalten. Deutschland wird älter, träger, schwächer. Das Land braucht Menschen, die anpacken.In dieser Lage kann Zuwanderung, wenn sie klug organisiert wird, ein großes Geschenk sein. Migration zahlt sich aus; für die Einwanderer, aber auch für das Gastland, das ist historisch bekannt und wird durch ökonomische Studien gestützt. Dazu freilich muss der Staat etwas tun. Die Politik muss ein Konzept haben, das über die Bereitstellung einiger öffentlicher Gebäude hinausgeht. Es braucht eine kombinierte Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik – verbunden mit einer klugen Entwicklungspolitik. (…)(…) Es geht stattdessen um ein anderes, ein offenes Denken. Eines, das, statt sich angstvoll abzuwenden, das Fremde als Bereicherung begrüßt und, ja, auch als ökonomischen Gewinn.
Diese Erwartung ist von einem erstaunlichen Optimismus geprägt. Seit mehr als drei Jahrzehnten warnen Experten vor den dramatischen Folgen der Schrumpf-Alterung und forderten deshalb grundlegende Weichenstellungen für eine konsequente Nachwuchspolitik – jedoch ohne Erfolg. Abstriche der Bevölkerung beim gegenwärtigen Konsum und den erworbenen Besitzständen, um finanziellen und kulturellen Raum für neue Menschen schaffen, lassen bis heute auf sich warten. Ob das bei der erhofften Einwanderungswelle anders sein sollte?
Hinzu kommt ein weiterer Faktor: Der gegenwärtige Zustrom von Menschen aus dem Ausland ist vor allem der schieren Not in ihren Heimatländern geschuldet. Ob die Menschen, zumal aus den außereuropäischen Kulturen tatsächlich in Deutschland bleiben, wenn sich die Verhältnisse dort wieder stabilisieren? Kann es zudem tatsächlich im deutschen Interesse sein, die leistungsfähigsten Einwanderer bei sich zu behalten, wenn sie in ihren Heimatländern beim Wiederaufbau und damit zur Stabilisierung ganzer Regionen beitragen könnten?
Schließlich sollten die Integrationshürden nicht unterschätzt werden. Selbst bei bislang gut integrierten Einwanderern gibt es Besorgnis erregende Brüche, die politische Beobachter staunen lassen:
°Er säuft nicht, und er ist kein SchwächlingRussische Migranten gelten als vorbildlich integriert. Warum nur halten so viele zu Putin?Von Philipp Mangold°