125 JAHRE RENTEN-“VERSICHERUNG”
– warum es nicht funktioniert!
Eine HBF-Erinnerungshilfe
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HBF-Aktuell /RÜCKBLENDE, Tübingen 02.12.2014, erstellt 19:00 Uhr
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Rentensicherheit, Familienpolitik und die Kinderlosen
– Die vergessenen Einsichten von Adenauers
Vordenker WILFRID SCHREIBER –
FRANKFURTER RUNDSCHAU dokumentiert seine Gesamtkonzeption
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HBF-Lesetip, Tübingen, 14. September 2004
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Sehr geehrte Damen und Herren
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die immer weniger zu verdrängenden tiefgreifenden Folgen der historisch beispiellosen Vergreisung unseres Landes (vgl. dazu z.B. HBF vom 02.06.03 oder HBF 16.06.04) veranlassen die Parteien und die Regierung/en zur Einberufung immer neuer Expertenkommissionen (z.B. Herzog-Kommission [z.B. HBF 29.09.03] oder Rürup-Kommissionen [z.B. HBF 25.04.03 oder 14.11.03]). Allen gemeinsam ist die Verdrängung der Tatsache, daß neben der – immer weniger diskutierten Polarisierung zwischen Arm und Reich – unsere Gesellschaft mit sich immer deutlich verschärfender Tendenz auch in Personen mit und ohne Kinder-lebend zerfällt. Dementsprechend verweigern sie sich – mit Placebokonzepten wie Bürgerversicherung oder Ausbau der Steuerfinanzierung für “familienpolitische Leistungen” – weiterhin dem notwendigen Leistungsausgleich zwischen diesen Personengruppen. Dabei hatte der KINDERLOSE Vordenker unseres dynamischen und umlagefinanzierten Rentensystems Wilfrid Schreiber bereits 1955 klipp und klar die Notwendigkeit dieses Ausgleichs begründet und einen konkreten Lösungsvorschlag dazu gemacht. Er scheiterte schon damals an Bundeskanzler Adenauer, der seinen Wahlerfolg lieber bei der Klientel der Alten suchte und dabei bedenkenlos die künftige Stabilität unserer Gesellschaft opferte. Ein Mut zur Kurzsichtigkeit, der leider nicht aus der Mode gekommen ist.
Es ist ausgesprochen verdienstvoll von der Redaktion der FRANKFURTER RUNDSCHAU, unsere schnellebigen und anscheinend vollkommen geschichtsvergessenen Akteure daran zu erinnern, daß “modernes Denken” nicht per se ein gesellschaftlicher Fortschritt ist.
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Mit freundlichen Grüßen
HBF-Pressedienst
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FRANKFURTER RUNDSCHAU 14.09.04, Dokumentation
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ALTERSRENTE UND KINDERGELD SIND EINE EINHEIT
Wilfrid Schreiber, Vordenker einer gerechten Familienpolitik, verfasste 1955 die Denkschrift: Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft
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“Kinder kriegen die Leute sowieso.” So begründete Konrad Adenauer 1956 sein Nein zu einer sozialen Sicherung für Kinder und Jugendliche. Wilfrid Schreiber vom Bund Katholischer Unternehmer hatte 1955 einen Vorschlag gemacht, wie sie aussehen könnte. Doch seine Idee fiel dem Irrtum des damaligen Bundeskanzlers zum Opfer.
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Der Schreiber-Plan
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1954 hatte Schreiber im Auftrag des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU) den nach ihm benannten “Schreiber-Plan” zur Reform der Sozialsysteme entwickelt. Seine unter dem Titel “Existenzsicherheit in der industriellen Gesellschaft” 1955 vom BKU veröffentlichte Gesamtkonzeption umfasste alle Bereiche der Sozialpolitik. Die Regierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) setzte allerdings nur den Rententeil um, und auch diesen nur teilweise.
Adenauer hatte nur die Grundidee übernommen, die Rentenversicherung durch ein dynamisches Umlagesystem zu finanzieren und nicht mehr durch eine reine Kapitaldeckung, wie sie seit Bismarck bestand. Zwei entscheidenden Elementen der Vorschläge Schreibers folgte Adenauer aber nicht.
Zum einen legte er sich mit Blick auf die Bundestagswahlen 1957 auf ein Rentenniveau von 70 Prozent des Bruttoeinkommens fest, da die SPD und die Gewerkschaften 75 Prozent gefordert hatten. Schreiber dagegen hielt im Umlageverfahren nur ein Niveau von 50 Prozent für langfristig finanzierbar, der Rest sollte durch private Vorsorge und Vermögensbildung sowie betriebliche Altersvorsorge abgedeckt werden.
Zum anderen übernahm Adenauer Schreibers Idee einer “Kinder- und Jugendrente” nicht. Er wischte die Idee mit dem inzwischen berühmt gewordenen Satz “Kinder kriegen die Leute sowieso” vom Tisch.
Der hier dokumentierte Auszug aus dem “Schreiber-Plan”, ist das Kapitel über die “Kinder- und Jugendrente”. Der komplette Text ist zu beziehen beim BKU: www.bku.de (Publikationen) oder BKU, Georgstraße 18, 50676 Köln ber
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(…)
Mit der Einrichtung der Altersrente (…) ist das Problem der Repartierung des Lebenseinkommens auch auf die “unproduktiven” Lebensphasen Alter und Kindheit erst zur Hälfte gelöst. Es verbleibt die Aufgabe, eine Lebenssicherung für das Kind und den noch nicht erwerbsfähigen Jugendlichen zu schaffen.
(….)
Es versteht sich, dass wir katholischen Unternehmeruns zu den Grundsätzen der katholischen Religion und zur Soziallehre unserer Kirche bekennen. In der vorliegenden Denkschrift brauchen wir uns jedoch auf spezifisch christliche Wertungsnormen nicht zu berufen. Zur Begründung ihrer Forderungen genügt vollauf die ökonomische Vernunft. Auf dieser Ebene kann kein Andersdenkender unseren Argumenten ausweichen.
(….)
In der vorindustriellen Gesellschaft ließ sich ein solcher “Solidarvertrag” ohne Mühe im kleinsten Sozialgebilde, in der Familie, verwirklichen. Die Eltern zogen die Kinder groß und erwarben dadurch den selbstverständlichen Anspruch, in ihrem Alter von den Kindern unterhalten zu werden. In der auf das Individuum und nicht auf die Familie hin orientierten industriellen Massengesellschaft ist der Familie diese Funktion ungemein erschwert. (….)
(…)
Im Streben nach höherem Lebensstandard, diesem neuen und durchaus nicht nur negativ zu beurteilenden Lebensimpuls des Menschen der dynamischen Ära, ist daher der anhanglose Einzelne stets im Vorsprung vor dem Familienvater, dessen Lohnsumme zwar gleich hoch ist, aber in so viel mehr Teile geht.
(….)
Der vorliegende Plan (…) das Problem unter dem Gesichtspunkt der Verteilung des Lebenseinkommens auch auf die wirtschaftlich “unproduktiven” Lebensphasen – sowohl des Alters wie der Kindheit – sieht. (…)
Diese Kindheitsrente wird von der Gesamtheit der zur gleichen Zeit erwachsenen Arbeitnehmer finanziert und selbstverständlich dem Erziehungsberechtigten als dem Treuhänder des Kindes ausbezahlt. Damit übernimmt das Kind zugleich die Verpflichtung, im Verlauf seines eigenen Arbeitslebens diese ihm vorschussweise gewährte Rente in Jahresraten zurückzuzahlen. Aus eben diesem Rückfluss werden die Rentenvorschüsse für die dann im Kindesalter Stehenden bestrittten.
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DIE KINDHEITS- UND JUGENDRENTE
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Jedes Kind hat bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres Anspruch auf eine Unterhaltsrente in Höhe von b Prozent des Arbeitseinkommens seines Ernährers. Im Falle, dass der Vater tot oder arbeitsunfähig ist, bemisst sich der Unterhaltsanspruch des Kindes auf b Prozent von 40 Prozent des “durchschnittlichen Arbeitseinkommens in der Bundesrepublik” (…).
Jeder Arbeitstätige ist von seinem 35. Lebensjahr an zur Rückerstattung der in der Kindheit und Jugend erhaltenen Vorschussrente verpflichtet. Die Erstattungsrate bemisst sich nach einem Prozentsatz vom Brutto-Arbeitseinkommen, gestaffelt nach dem eigenen Familienstand gemäß Punkt, zahlbar bis zur Erreichung des Rentenalters.
Die “Kindheits- und Jugendrente” ist ein Vorgriff auf das spätere Arbeitseinkommen des Kindes und Jugendlichen. Der Zwanzigjährige ist mithin mit einer “Darlehensschuld” belastet, die er von seinem 35. Lebensjahr an die Gesellschaft zurückerstatten muss. Nicht seine Eltern werden mit einer “Zeugungsprämie” belohnt, sondern das Kind selbst erhält ein Vorschusseinkommen. Das ist der wahre Sachverhalt.
(….)
Ein Elternpaar mit zwei Kindern zahlt (quotal gemessen) nur dasselbe an die Rentenkasse zurück, was es in seiner Kindheit und Jugend von ihr empfangen hat. Eltern mit nur einem oder gar keinem Kind und erst recht die Unverheirateten zahlen mehr zurück, Eltern mit mehr als zwei Kindern weniger.
Diese Staffelung erscheint uns aus rein wirtschaftlichen und materiellen Überlegungen sinnvoll und notwendig. Bevölkerungspolitik steht zur Zeit nicht hoch im Kurs. Wer die primitive Wahrheit ausspricht, dass Bevölkerungswachstum wünschenswert, Bevölkerungsschwund tief bedauerlich ist, wird heute von einer Meute sich modern gebärdender Kritiker als Reaktionär angeprangert oder als Finsterling diffamiert.
(…..)
Es ist also klar, dass ein gewisses Maß von Bevölkerungspolitik notwendiges Element einer jeden vernünftigen Wirtschaftspolitik sein muss, die den Kinderschuhen des statischen Denkens entwachsen ist und wenigstens den primitivsten Tatsachen der Dynamik Rechnung trägt.
(….)
Wer sein Alter wirtschaftlich sichern will, tut nicht genug daran, im Laufe seines Arbeitslebens irgendwelche Einkommensteile dem Konsum zu entziehen – das genügt nur, um seinen relativen Anspruch, gemessen an dem anderer, zu sichern – er muss vielmehr zugleich mit dafür sorgen, dass in seinem Alter auch genügend komplementäre Arbeitskraft zu dem allenfalls akkumulierten Sachkapital vorhanden ist, und das kann er nur, indem er für Nachwuchs sorgt. Wer kinderlos oder kinderarm ins Rentenalter geht und, mit dem Pathos des Selbstgerechten, für gleiche Beitragsleistungen gleiche Rente verlangt und erhält, zehrt im Grunde parasitär an der Mehrleistung der Kinderreichen, die seine Minderleistung kompensiert haben.
(….)
Hier zeigt sich unabweisbar, dass die Institutionen der Altersrente und des Kindergeldes mit Notwendigkeit zusammengehören und als Einheit gesehen werden müssen,
(….)
Dem unverheirateten 35jährigen wird die doppelte Erstattungsquote aufgebürdet (gegenüber dem Ehepaar mit zwei Kindern), nicht um ihn für seine “Ehelosigkeit” zu “bestrafen” – eine sittliche Wertung seines Verhaltens ist nicht Sache dieser Abhandlung, die sich an rein wirtschaftliche Gegebenheiten hält. Die Doppelung seines Erstattungsfaktors ist nur die sehr milde Kompensation dafür, dass er nichts unternimmt, um sein gesellschaftliches Nachwuchs-Soll zu erfüllen, dabei aber obendrein sein Individualeinkommen für sich allein verbrauchen kann, während der Ehemann im erstrebten Regelfall es mit seiner Gattin teilen muss. Diese Doppelung ist auch in den Fällen gerecht, in denen aus biologischen Gründen eine Verheiratung unmöglich oder unerwünscht ist. Es wird ja keine Gesinnung belohnt oder bestraft, es werden nur Folgerungen aus objektiven wirtschaftlichen Tatsachen gezogen. Ob einer ehelos bleiben will und wie viel Kinder er haben will, sei seine eigene, höchst individuelle Entscheidung, in die ihm kein Staat und keine Gesellschaft dreinreden soll. Dass er aber von dem wirtschaftlichen Vorteil, den seine unterdurchschnittliche Leistung in Bezug auf die Bestanderhaltung der Gesellschaft obendrein zur Folge hat, einen kleinen Teil zugunsten derer hingibt, die sein Untersoll unter wirtschaftlichen Opfern kompensieren helfen, dürfte nicht unbillig sein und nicht als Nötigung empfunden werden.
(…)
Dieses Moratorium von 15 Jahren soll außerdem den Anreiz und die Möglichkeit zur – biologisch und sittlich wünschenswerten – Frühehe schaffen. Es wird dadurch erreicht, dass der Neigung, erst im reiferen Alter und bei entsprechend gestiegenem Einkommen der Empfängnis stattzugeben, eine Gegenkraft erwächst. Im Hinblick auf die im 35. Lebensjahr beginnende Rückzahlungspflicht erscheint es im Lebenskalkül des jungen Ehepaars nur vorteilhaft, die Geburten in eine möglichst frühe Zeit zu legen, damit sich der Rentenempfang der Kinder und die Rückerstattungspflicht der Eltern zeitlich möglichst wenig überdecken.
Es ist klar, dass auch Unverheiratete der Erstattungspflicht unterliegen. Sie zahlen ja nicht “für anderer Leute Kinder”, sondern erstatten die Vorschüsse, die sie selber im Kindesalter erhalten haben.
(….)