Halbe Rente für Kinderlose? 
– ifo-Präsident Hans-Werner Sinn über die Folgen des verdrängten demographischen Desasters
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HBF-Lesetip, Tübingen, 27. März 2003, Aktualisierung 17.05.10, Stand 19:10 Uhr

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Sehr geehrte Damen und Herren,
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die weitreichenden Folgen des US-amerikanischen Angriffskrieges auf den Irak für die Welt und die Bundesrepublik sind zur Zeit noch nicht absehbar. Dagegen sind die Folgen einer vermutlich nicht weniger weitreichenden Entwicklung für das Land schon heute glasklar erkennbar: Das vorprogrammierte demographische Desaster wird die Republik tiefgreifend verändern. Letzte Woche hat ein renommierter Volkswirt, der Chef des ifo-Wirtschaftsforschungsinstitutes in München, Hans-Werner Sinn, dieses Thema aufgegriffen und sofort für Aufregung gesorgt. Seine für Wissenschaftler ungewohnt schonungslose Analyse der gegenwärtigen Trends und ihrer Konsequenzen für die Volkswirtschaft und die sozialen Sicherungssysteme führten ihn u.a. anderem zu der Forderung, die Rente für Kinderlose zu halbieren. „Nur wer mindestens drei Kinder großzieht und durchschnittliche Beiträge gezahlt hat, dem kann die umlagefinanzierte Rente im bisher erwarteten Umfang erhalten bleiben.“
Bedauerlicherweise griff die Presse nur die Forderung nach der Rentenkürzung auf und lamentierte zum Teil (evt. auch aus persönlicher Betroffenheit) wieder über die „Bestrafung von Kinderlosen“ (vgl. „Spiegel-Online“ 20.03.03: „Kinderlose sollen mit Rentenhalbierung bestraft werden“). Die von Prof. Sinn sorgfältig zusammengestellten Fakten zum Hintergrund dieser Forderung fanden dabei keine größere Beachtung. Deshalb möchten wir einige zentrale Punkte seines Beitrages „Das demographische Defizit – die Fakten, die Folgen, die Ursachen und die Politikimplikationen“ wiedergeben, der im ifo Schnelldienst 5/2003 erschienen ist (siehe Anlage).
Anlaß dieser Forschungsarbeit war ein Vortrag, den Prof. Sinn im Rahmen der von uns letztes Jahr mitveranstalteten Tagung „Demographie und Wohlstand“ in Berlin gehalten hat. (Dieser Vortrag erscheint demnächst mit den anderen, höchst informativen Tagungsbeiträgen als eigene Publikation unter dem Titel: Demographie und Wohlstand. Neuer Stellenwert für Familien in Wirtschaft und Gesellschaft, Christian Leipert (Hrsg.), Opladen: Leske und Budrich).
Im Gegensatz zur Bundesbank, die bei ihrem jüngst veröffentlichten Reformkonzept („Wege aus der Krise – Wirtschaftspolitische Denkanstöße für Deutschland“, März 2003) den dramatischen Geburtenrückgang hierzulande quasi naturgesetzlich hinnimmt und deshalb keinerlei Vorschläge dazu hat, macht Herr Sinn neben seinen renten- auch familienpolitische Vorschläge (vgl. ifo-Schnelldienst, S. 16). Allerdings zeichnen sie sich doch durch eine rein ökonomische Betrachtung aus. Die Rechte der Kinder z.B. auf ausreichend Zeit mit ihren Eltern, und das Recht der Eltern auf „Wahlfreiheit bei der Art der Kinderbetreuung“ (vgl. BVG-Kinderbetreuungsurteil vom 19. Januar 1999) tauchen dabei nicht auf.
Der notwendige ganzheitliche familienpolitische Ansatz wird dagegen in einer neuen Publikation des Familienexperten Max Wingen ausführlich dargestellt. Die Veröffentlichung seines Diskussionsbeitrages unter dem Titel „Bevölkerungsbewusste Familienpolitik – Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen“ ist bemerkenswerterweise sowohl von der österreichischen Regierung als auch von der österreichischen Wirtschaft finanziell unterstützt worden. Nähere Informationen und einen Auszug aus der Broschüre finden Sie in der Anlage.
 
Mit freundlichen Grüßen
HBF-Pressedienst  
 
 
Achtung! – Ergänzung vom 21.03.06:
 
In einer aktuellen Stellungnahme hat Prof. Sinn sich von seiner ursprünglichen Forderung nach einer direkten Rentenkürzung für Kinderlose distanziert. Stattdessen regt er ein Modell an, bei dem allerdings im Kern weiterhin der Grundsatz gilt:
"Statt eine ganze Generation kollektiv in die Verantwortung zu nehmen, sollten die notwendige Rentenkürzungen und das kompensierende Riester-Sparen auf die Kinderlosen konzentriert werden." 
Die Grundzüge seines neuen Modells finden Sie im HBF-Premium-Archiv vom 21.03.06
 
 
Inhaltsübersicht:
 

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die Ursachen und die Politikimplikationen
Hans-Werner Sinn
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Deutschland altert schneller als fast alle Länder dieser Welt und hat eine der niedrigsten Geburtenraten überhaupt. Dieser Aufsatz beschreibt die demographischen Fakten und analysiert die Folgen für das Rentensystem und die Dynamik unseres Landes. Aber er bleibt bei diesen traditionellen Analysefeldern nicht stehen, sondern untersucht auch die ökonomischen Ursachen der Kinderlosigkeit der Deutschen, zu denen in vorderster Front das Rentensystem selbst zu zählen ist. Die Rentenversicherung hat den Menschen die Verantwortung für ihr Einkommen im Alter genommen und damit die Kinderlosigkeit der Deutschen maßgeblich mitverursacht. Zur Korrektur der Fehlentwicklung wird empfohlen, die Renten nach dem alten System deutlich zu kürzen und zusätzliche, von der Kinderzahl abhängige Rentenansprüche einzuführen. Personen, die kein Geld für die Kindererziehung
 
Kinder sind in Deutschland zum Störfaktor geworden. Sie kosten Geld, schränken die Konsumfreiheit ein und führen zum sozialen Abstieg. Das Single-Dasein wird zum Normalfall, lockere Partnerschaften ersetzen die Ehe, und wenn schon eine Familie gegründet wird, dann müssen die Kinder zunächst einmal warten. Das erste Kind kommt Anfang dreißig, und allzu häufig bleibt es dann dabei. Die DINK-Familie ist noch populärer. "Double Income, no kids" ist die Devise für eine zunehmende Zahl junger Paare: mit zwei Einkommen und keinen Kindern lebt es sich besser als mit einem Einkommen und drei Kindern. Deutschlands Fun-Gesellschaft vergreist.
Noch partizipieren die Alten an der Fun-Gesellschaft. Heerscharen von Rentnern lassen sich, finanziert vom deutschen Umlagesystem, von Luxuslinern durch die Weltmeere schaukeln und von Jet-Clippern zu den entlegensten Stränden dieser Erde transportieren. (…)
Die wenigen Familien mit Kindern, die sich dem Zeitgeist widersetzen, werden von der Politik vernachlässigt, und das Land der Dichter und Denker muss sich von der OECD ein miserables Bildungssystem vorhalten lassen, weil es in Relation zu seinem Sozialprodukt weit weniger als der Durchschnitt der OECD Länder für die öffentliche Bildung ausgibt.  Die Perversion der politischen Werteskala ist nicht zu überbieten.
Aber es geht mittlerweile nicht nur um pervertierte Werte, sondern um die Funktionsfähigkeit der staatlichen Sozialsysteme und damit auch um die Funktion des Staatswesens an sich. Die Zahl derer, die in den Genuss des staatlichen Umverteilungssystems kommen wollen, wird immer größer, und die Gruppe der Beitragszahler schrumpft zusehends.
(….)
Im Jahr 2035 werden die Deutschen vermutlich das älteste Volk auf der Erde sein.
(….)
Obwohl eine jährliche Zuwanderung von 200.000 Personen unterstellt wird, geht die in Deutschland ansässige Bevölkerung nach dieser Projektion bis zum Jahr 2050 um 12,5 Mio. Personen zurück.
(…)
 Selbst in Japan, wo die Fertilität schon früh zurückging, steigt der Altersquotient nicht auf ähnlich hohe Werte wie in Deutschland. Deutschland vergreist wegen seiner Kinderarmut schneller und nachhaltiger als fast alle anderen Länder.
(…)
 
2. Die Folgen der demographischen Krise
 
(….) in der Zeitspanne von 2000 bis 2035, dem Jahr, in dem nach heutigen Erkenntnissen die demographische Krise kulminieren wird, mehr als eine Verdoppelung des Altersquotienten erwarten, und dies, obwohl in der zentralen Variante (Variante 2) eine erhebliche Zuwanderung von 200.000 Personen pro Jahr unterstellt wird.
(….)
Die Gesamtbelastung mit allen Sozialversicherungsabgaben liegt nach einer Projektion des ifo Instituts im Jahr 2035 bei 62,5%. Sie spaltet sich auf in 30 Prozentpunkte für die Rentenversicherung, 23 Prozentpunkte für die Gesetzliche Krankenversicherung, 3 Prozentpunkte für die Pflegeversicherung und 6,5 Prozentpunkte für die Arbeitslosenversicherung.
Die Erhöhung des Bundeszuschusses zur Rentenversicherung ist ein optischer Trick zur Geringrechnung der Belastung, aber keine Lösung, weil auch ein solcher Zuschuss durch Steuern finanziert werden muss, die von den Arbeitenden zu entrichten sind.
(….)
Auch die geistige und wirtschaftliche Dynamik Deutschlands wird erlahmen. Nach einer Untersuchung von Guilford aus dem Jahre 1967 erreichen Wissenschaftler im Durchschnitt aller Disziplinen im Alter von circa 35 Jahren ein Maximum ihrer Leistungskraft. Schon heute liegen die geburtenstärksten Jahrgänge in Deutschland mit einem Lebensalter von etwa vierzig Jahren deutlich über diesen Werten. Diese Jahrgänge werden Deutschland noch ein paar Jahre Dynamik bringen, doch nach einem weiteren Jahrzehnt sind die heute Vierzigjährigen fünfzig Jahre alt. Mit Fünfzig reißt man keine Bäume mehr aus, sondern beginnt, sich auf das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vorzubereiten.
Manchmal wird vermutet, die altersbedingte Verringerung der Erwerbstätigkeit sei ein Vorteil für den Arbeitsmarkt, weil so die Arbeitslosenquote gesenkt werden könne. Diese Vermutung ist freilich irrig. Sie entspringt aus einer allzu primitiven mechanischen Sichtweise des Wirtschaftsgeschehens und übersieht, dass die Alterung nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch Arbeitgeber aus dem Arbeitsmarkt eliminiert. Zu beachten ist nämlich, dass neue Unternehmen, die neue Arbeitsplätze schaffen, von jungen Leuten gegründet werden.
(….) ist als Ergebnis einer weiten Alterung der deutschen Bevölkerung nicht eine Verminderung der Arbeitslosigkeit, sondern ganz im Gegenteil eine Verschärfung des ohnehin schon bestehenden Mangels an Unternehmern und Arbeitsplätzen zu befürchten. Dass ein Land von Greisen eine geringere Arbeitslosigkeit als ein Land von jungen, arbeitsfähigen Menschen aufweisen würde, ist eine absurde und naive Vorstellung.  
(….) ist eine strategische Mehrheit für Rentenreformen vom Riester-Typ nur noch bis etwa 2015 gesichert. Danach sind solche Reformen kaum noch durchsetzbar. Dann kippt das politische System Deutschlands um.
 
3. Die ökonomischen Ursachen der demographischen Krise
 
Die demographische Krise Deutschlands ist das Ergebnis eines allgemeinen Wandels in den Einstellungen der Menschen zur Ehe, zu Kindern, zur Rolle der Frau und zu anderen Aspekten des Lebens, die ebenfalls Rückwirkungen auf die Kinderzahl haben. Der Wandel dieser Einstellungen ist freilich nicht gottgegeben und auch nicht nur auf die Zufälligkeiten kulturgeschichtlicher Entwicklungen zurückzuführen, sondern hat großenteils handfeste ökonomische Ursachen. Der Marxsche Leitspruch, dass das Sein das Bewusstsein bestimme, gilt sicherlich auch für den Wandel der Einstellungen zu Kindern und Familie. 
(…) 
Das Fehlen von Kindergärten und Ganztagsschulen bedeutet einen erheblichen Einkommensverzicht der Frauen, wenn sie sich für Kinder entscheiden. Dieser Einkommensverzicht stellt vermutlich den größten Teil der Kosten der Kindererziehung dar und erklärt die internationalen Unterschiede in den Fertilitätsraten vermutlich in hohem Umfang. 
(…)
3.5. Auch die Rentenversicherung gehört zu den Ursachen  
 
Unter den ökonomischen Ursachen der Kinderlosigkeit der Deutschen ist die Rentenversicherung besonders hervorzuheben. Die Rentenversicherung leidet nicht nur unter den Folgen der demographischen Krise, sondern hat diese Folgen selbst mit hervorgebracht. Die Rentenversicherung nach dem Umlageverfahren ist eine Versicherung gegen Kinderlosigkeit und die daraus entstehende Altersarmut. Auch wenn man selbst keine Kinder (…) 
Der fehlende Zusammenhang zwischen Kinderwunsch und Rententhema in den Köpfen der Menschen zeigt in aller Deutlichkeit, auf welch dramatische Weise das staatliche Rentensystem auf die gesellschaftlichen Normen Einfluss genommen hat.  
(….)
4. Politikimplikationen
(….) muss das Rentenalter ganz erheblich ausgedehnt werden, um die demographischen Verwerfungen, die Deutschland bevorstehen, zu kompensieren. Nach Berechnungen der Vereinten Nationen müsste das formelle deutsche Rentenalter von 65 auf 77 Jahre ansteigen, (….)
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4.2 Einwanderung
 
(…)
 Gerade die Größe der Zahlen zeigt in aller Deutlichkeit, wie gering der Beitrag zur Lösung der demographischen Probleme Deutschlands ist, den man von der Zuwanderung erwarten kann. Das Thema wird in der öffentlichen Diskussion total überschätzt, und es wird missbraucht, um heute schon aus ganz anderen Gründen billige Arbeitskräfte ins Land zu holen.
 
(….)
Jede Generation wird einmal alt, und dann kann sie nur leben, wenn sie in ihrer Jugend selbst vorgesorgt hat. Entweder muss sie Humankapital gebildet haben, indem sie Kinder in die Welt gesetzt und groß gezogen hat. Oder sie muss gespart und somit direkt oder indirekt Realkapital gebildet haben, um vom Verzehr dieses Kapitals zu leben. Eine Generation, die weder Human- noch Realkapital gebildet hat, muss hungern.
(….)
 
(…)
Statt eine ganze Generation kollektiv in die Verantwortung zu nehmen, sollten die notwendige Rentenkürzungen und das kompensierende Riester-Sparen auf die Kinderlosen konzentriert werden. Wer keine Kinder in die Welt setzt und großzieht, dem kann eine erhebliche Rentenkürzung zugemutet werden. Die Rente sollte nicht auf Null reduziert werden, denn das würde ihre ökonomische Hauptfunktion als Schutz gegen die ökonomischen Konsequenzen der Kinderlosigkeit negieren und unberücksichtigt lassen, dass die Kinderlosen auf dem Wege des Familienlastenausgleichs einen gewissen, wenn auch geringen Beitrag zur Mitfinanzierung der Kinder leisten. Doch erscheint beim durchschnittlichen Rentenbezieher eine Kürzung der Rente auf die Hälfte als angebracht. Nur wer mindestens drei Kinder großzieht und durchschnittliche Beiträge gezahlt hat, dem kann die  umlagefinanzierte Rente im bisher erwarteten Umfang erhalten bleiben. Wer ein Kind oder zwei Kinder hat, dem kann eine anteilige Rentenkürzung zugemutet werden. Die Rentenbeiträge sind demgegenüber nicht zu verändern, weil sie zur Finanzierung der jetzt Alten gebraucht werden.
(…)
 
eine politische Korrektheit, die von den Wellen bloßer Illusionen und gesellschaftlicher Ideologien getragen wird, wird ohnehin eines Tages an den Klippen der ökonomischen Wirklichkeit zerschellen.
(….)
Die Reformen verlangen mehr Mut von den Politikern und den Vertretern der Rentenversicherungssysteme, als heute erkennbar ist.
(….)
 
 

Publikationen des Instituts für Ehe und Familie, Nr. 14, (Wien, März 2003)
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Max Wingen
 
Familienpolitik
Grundlagen, Möglichkeiten
und Grenzen
 
Seite 44ff
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(…)
Eine bevölkerungsbewusste Familienpolitik wird auch als familienorientierte Unternehmenspolitik der Verbesserung der Vereinbarkeit von unter­schiedlichen Rollenanforderungen, die insbesondere aus Elternschaft – nicht nur der Frau als Mutter, sondern auch des Mannes als Vater – und Erwerbstätigkeit erwachsen, ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden müssen. Dies läuft insgesamt auf eine bewusste Familienorientierung der Erwerbsarbeitswelt hinaus, womit neben Staat und Gesetzgeber gerade auch nichtstaatliche Verantwortungsträger (Unternehmen und Tarifpartner) angespro­chen sind.
(….)
Deshalb sind auch betriebliche Arbeitsab­läufe immer wieder auf ihre Familienverträglichkeit hin zu überprüfen, zumal weil vom einzelnen im Grunde erwartet wird, dass er aus seiner familialen Lebenswelt vielfältige Vor-Leistungen mit in den betrieblichen Arbeitsprozess einbringt. Neben betrieblichen ,,Frauenförderplänen" verdienen auch ,,Elternförderpläne" eine größere Beachtung. Die Auf­gabe einer unternehmerischen Familienpolitik, die besonderen Pro­blemlagen von jungen Müttern (und Vätern) lässt sich etwa mit Stich­worten umreißen wie: noch weiter verbesserte Bedingungen für Teil­zeitbeschäftigungen sowie für Modelle mit Kombination von Vollzeit- und Teilzeitarbeit, vermehrte Angebote von partnerschaftlichen Arbeitsmodellen,
(…)
Akzentverlagerung in der Familienpolitik von einer betont erwerbsorientierten Familienpolitik zu einer solchen hinaus, die mit der prinzipiellen Gleichwertigkeit von Erwerbstätigkeit und familiärer Kinderbetreuung und -erziehung nicht nur verbal, sondern auch tatsächlich ,,handgreiflich" ernst macht.
Es gehört zu der mit der Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG verbundn Aufgabe des Staates, die Kinderbetreuung in der jeweils von den Eltern gewünschten Form ,,in ihren tatsächlichen Voraussetzungen" (!) zu ermöglichen und zu fördern (BVerfG-Entscheidung vom 10.11.1998). Auch dieser freiheitsbezogene Ansatz steht der Verwirklichung von tatsächlich vor­handenen Kinderwünschen nicht entgegen, sondern begünstigt sie eher. In einer betont freiheitlichen Sozialordnung erscheint lebensperspektivisch neben der simultanen Vereinbarung von Familie und Beruf ausreichender Spielraum für die sukzessive Vereinbarung bzw. für flexible Ubergangsformen zwischen beiden Grundformen unentbehrlich.
 Wichtig erscheint, dass die unterschiedlichen Verhaltensmuster durch eine Reihe von verhaltensmusterspezifischen flankierenden Randbedingungen rechtlicher und tatsächlicher Art abgesichert sind, damit sie auch wirklich lebbar sind. Deshalb sind bei dem simultanen Verhaltensmuster insbesondere ausreichende Angebote an außerhäuslicher (Klein-)Kinderbetreuung notwendig. Dabei stellt sich freilich das Problem der ungleichen ökonomischen Ausgangsbedingungen bei Inan­spruchnahme von hochgradig öffentlich subventionierter außerhäuslicher (Klein-)Kinderbetreuung und demgegenüber deren Nicht-Inanspruchnahme (mit weitestgehend unentgeltlicher familiärer Eigenleistung), das verteilungspolitisch (durch ein ausgewogenes Verhältnis von ,,Realtransfers" und kompensierenden monetären Transfers) entsprechend anzugehen ist; denn erst dann lässt sich der wirkliche Bedarf an außerhäuslichen Betreuungsplätzen für Kleinstkinder ermitteln.
Trias" von einkommenspolitischen (Ersatz-)Lei­stungen (,Erziehungseinkommen"), arbeitsrechtlich abgesicherter ,,Elternzeit" und Anrechnung von Erziehungszeiten in der Gesetzli­chen Rentenversicherung hervorzuheben. Daneben sind bei Uberschreiten der Elternzeit (insbesondere bei mehreren Kindern) länger­fristigere Wiederbeschäftigungszusagen und gezielte Wiedereinstiegshilfen wichtig. Dies gilt im Grunde nicht nur für junge Mütter, sondern auch für junge Väter mit dem Ziel, das Bewusstsein für eine größere Rollenflexibilität in einer partnerschaftlichen Arbeitsteilung zu schärfen.
(…)
Die durchgreifende Korrektur der Strukturen der marktleistungsbestimmten Einkommensverteilung muss konsequent auf die Sicherung eines familiengemäßen Einkommens, das der allgemeinen Einkommens- und Preisentwicklung laufend anzupassen ist, ausgerichtet sein, und zwar in einem dreifachen Aspekt
 
–              Gewährleistung von Steuergerechtigkeit (einkommensteuerliche Freistellung des sozialkulturellen Mindestbedarfs von Kindern (ein­schl. des Betreuungs- und Erziehungsbedarfs, mit realitätsgerechter Bewertung der einzelnen Aufwandsfaktoren), was noch keine eigentliche Familienförderung darstellt;
 
–              Gewährleistung von Bedarfsgerechtigkeit mit Blick auf den Aus­gleich der kinderbedingten Mehrkosten im Vergleich zu Kinderlosen (Familienlastenausgleich i.e.S.), in den auch familienphasenspezi­fische Transferleistungen wie Erziehungsgeld (Erziehungseinkommen) integriert werden können, womit dann die Grenze überschritten wird zur
 
–              Gewährleistung eines Familienleistungsausgleichs, der in Deutsch­land (und nicht nur hier) bisher erst in den Anfängen steht und ele­mentare Leistungen der Familien für das Gemeinwesen (positiv zu bewertende externe Effekte im Aufbau des ,,Humanvermögens" der Gesellschaft) angemessen anzuerkennen hat.
(…)
 
 
Kontakt:
Institut für Ehe und Familie (Wien)
E-Mail: office@ief.at
www.ief.at
 

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LEITUNG des Pressedienstes: Kostas Petropulos – FACHBEIRAT: Wiltraud Beckenbach; Dr. Otfried Hatzold, Cycloplan, München; Christian Kennerknecht; Dr. rer. pol. Christian Leipert, Inst. für Sozialökologie (ISÖ, Bonn/Berlin), Europäisches Institut zur Aufwertung der Erziehungsarbeit (Berlin); Alfred Rollinger, Vizepräsident des Sozialgerichtes Trier a.D. und ehem. Vorsitzender Familienbund, Bistum Trier; – GESCHÄFTSSTELLE Im Eck 3, 79199 Kirchzarten, Tel: 07661-62062, Fax: -62338

 

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