MÜTTER AUF DEM ARBEITSMARKT:
Steigende Zahlen und Regierung setzt auf weitere „Förderhilfen“
– Aber wo bleibt der Gewinn an Lebensqualität für die Familien?
Der neue Beschäftigungsrekord auf dem Arbeitsmarkt (HPL) verdankt sich ganz maßgeblich der steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen und Müttern (HPL). Die Bundesregierung sieht dies als politischen Erfolg (vgl. z.B. HBF 2014a) – selbst wenn dies bei den Familien ohne nennenswerte Zeitreduktion der Väter erfolgt (HPL). Neben den bereits beschlossenen Maßnahmen (HBF 2014b) sollen jetzt weitere Hilfen für Mütter auf den Weg gebracht werden (HPL). Die massiven „Nebenwirkungen“ dieses Politikansatzes, den mehrere aktuelle Studien gerade wieder dokumentieren (HPL), scheinen dagegen nur ein persönlich betroffenes Kabinettsmitglied zu beschäftigen (vgl. HBF 2015). Der Wille nach einer konzeptionellen Antwort der schwarz-roten Koalition ist allerdings nicht erkennbar.
 
HBF-VOLLTEXT
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Der neue Beschäftigungsrekord auf dem Arbeitsmarkt….
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42,8 Millionen Erwerbstätige im Dezember 2014
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WIESBADEN – Im Dezember 2014 waren nach vorläufigen Berechnungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) rund 42,8 Millionen Personen mit Wohnort in Deutschland erwerbstätig. Das waren 411 000 Personen oder 1,0 % mehr als im Dezember 2013. Auch in den Monaten Oktober und November 2014 hatte die Zuwachsrate zum Vorjahresmonat 1,0 % betragen. (….)

 

…. verdankt sich ganz maßgeblich der steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen und Müttern…
Frauenerwerbstätigkeit - Erwerbsquoten von Frauen und Männern 1993 bis 2013- HBF-Daten

 

aus: Wachsende Bedeutung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt. DIW Wochenbericht 28.01.15, Nr. 5 / 2015
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…vor allem in der Altersgruppe von 30-39 Jahren
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Erwerbsquoten nach Geschlecht, Alter und Berufsausbildung In Prozent
         
  Frauen  
1993  2003 2013  
15 bis 24 Jahre 72,8 74,5 79,2  
30 bis 34 Jahre 71,4 77,7 80,3  
35 bis 39 Jahre 73,9 79,5 80,7  
40 bis 44 Jahre 75,7 82,2 84,7  
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aus: Wachsende Bedeutung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt. DIW Wochenbericht 28.01.15, Nr. 5 / 2015, Tabelle 1

 

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Dies entspricht den Zielen der Bundesregierung (vgl. z.B. HBF 21.11.14)  und gilt ihr deshalb als politischer Erfolg – selbst wenn dies bei den Familien ohne nennenswerte Zeitreduktion der Väter erfolgt (vgl. dazu z.B. die hohe Zahl der 2-Monats-Elterngeldväter und die anhaltend niedrige Teilzeitquote von Männern – vgl. Anmerkung 1).
Neben den bereits beschlossenen Maßnahmen (vgl. zuletzt das "Elterngeld Plus" – in: HBF 07.11.2014) sollen jetzt weitere Hilfen für Mütter auf den Weg gebracht werden, um ihnen den Weg in den Arbeitsmarkt zu weisen:
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Familienpolitik
Schwesig will Alleinerziehende stärken
Ein Viertel der alleinerziehenden Mütter muss von Hartz-IV-Leistungen leben. Das will Familienministerin Schwesig ändern. Eine Untersuchung stützt nun ihre These vom ungenutzten Potenzial, das Mütter und Väter ohne Ehepartner bieten.
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Hamburg – Familienministerin Manuela Schwesig hat Alleinerziehenden eine größere Unterstützung in Aussicht gestellt. (…) Nun erhärtet eine von ihrem Ministerium in Auftrag gegebene Untersuchung, dass sich diese Pläne auch wirtschaftlich lohnen könnten.
Laut der Prognos-Untersuchung sind Alleinerziehende überwiegend gut ausgebildet, 78 Prozent von ihnen verfügen über einen mittleren oder hohen Bildungsabschluss. "Damit sind sie ein wichtiges Potenzial mit Blick auf die Fachkräftesicherung", heißt es in dem Papier. (…)
Laut der Untersuchung sind alleinerziehende Frauen genauso häufig erwerbstätig wie Mütter in Paarfamilien – 67 Prozent von ihnen gehen einer Arbeit nach. Und Alleinerziehende bleiben demnach im Schnitt sogar fünf Stunden pro Woche länger am Arbeitsplatz als Mütter mit Ehemann.
2004 wurde ein Entlastungsbetrag für Alleinerziehende eingeführt: Durch ihn können Mütter oder Väter bei ihrer Steuererklärung 1308 Euro im Jahr von ihren zu versteuernden Einkünften abziehen. Dieser Freibetrag erreicht bisher 1,1 Millionen Haushalte und bewirkt laut der Prognos-Studie immerhin, dass rund 20.000 Alleinerziehende kein Hartz IV zusätzlich beziehen müssen. Die Auswertung zeige, dass es sich "um eine im Verhältnis zu den Kosten sehr effiziente Leistung" handele, denn sie stärke die erwerbstätigen Alleinerziehenden", heißt es in der vom Ministerium in Auftrag gegebenen Papier.
Das Problem: Seit seiner Einführung ist der Entlastungsbetrag nicht mehr erhöht worden. Das müsse sich nun ändern, sagte Schwesig SPIEGEL ONLINE (…) Woher das Geld für die Finanzspritzen kommen soll, muss die Sozialdemokratin nun mit Finanzminister Wolfgang Schäuble aushandeln.

 

Dabei gibt massive „Nebenwirkungen“ dieses arbeitsmarktzentrierter Politikansatzes, den mehrere aktuelle Studien gerade wieder dokumentieren. So meldet die Techniker Krankenkasse in ihrem diese Woche veröffentlichten Depressionsatlas einen Anstieg der Fehltage am Arbeitsplatz auf Grund dieser seelischen Störung zwichen 2000 bis 2013 um fast 70%. Für Fachleute ist wachsender Streß eine Ursache dafür. Bemerkenswert an dieser Entwicklung: Frauen sind nicht nur doppelt so häufig davon betroffen wie Männer, sondern Depressionen treten gehäuft in "Frauenberufen" auf:
 
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Immer längere Fehlzeiten im Beruf
Depression wird zur Volkskrankheit
Wegen ihrer Psyche lassen sich deutsche Arbeitnehmer immer länger krankschreiben. Die Unternehmen kostet das Milliarden.
von Rainer Woratschka
 
(…) Wobei es große Unterschiede bei den Berufsgruppen gibt. Am häufigsten blieben Callcenter-Mitarbeiter wegen ihrer Psyche zuhause. Es folgen Altenpfleger, Kindererzieher und Verwaltungsangestellte. Am wenigsten traf es Ärzte, Software-Entwickler und Uni-Dozenten. Offenbar, sagt Baas, spiele nicht nur Stress im Beruf, sondern auch fehlende Selbstbestimmtheit eine wichtige Rolle.
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Frauen fast doppelt so stark betroffen
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Frauen ließen sich der Studie zufolge wegen Depressionen weit häufiger krankschreiben als Männer. Sie kamen im Schnitt auf 1,3 Fehltage, Männer nur auf 0,8. Bei den Verschreibungen war der Unterschied noch auffälliger: Während 4,4 Prozent der erwerbstätigen Männer Antidepressiva verordnet bekamen, waren es bei den Frauen knapp acht Prozent. (…)

 

 
Depressionen als Grund für Krankrschrebungen / Arbeitsunfähigkeit - TK-Studie nach Berufsgruppen, Januar 2015 - HBF-Daten
aus: Depressionsatlas. Techniker Krankenkasse, Januar 2015, S. 13
 
Gerade in den mit einem hohen Depressionsrisiko behafteten "Erziehungsbereich" (vgl. Zeilennummer 83) ist der Beschäftungsanteil von Frauen (im Zuge des öffentlichen Kita- und Gantagsschulausbaus) besonders kräftig gestiegen (von 2000 bis 2008: Frauen: +23%, Männer: +12,9%)
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Entwicklung der Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern / nach Geschlecht und nach Branchen 2000-2008 - HBF-Daten
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aus: Wachsende Bedeutung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt. DIW Wochenbericht 28.01.15, Nr. 5 / 2015
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Darüberhinaus hat die "modernisierte" Familien- und Sozialpolitik der Bundesregierungen entgegen ihren offiziellen Bemühungen die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern zum Teil sogar noch verschärft.  So führte die Kürzung der arbeitsmarktunabhängigen Familienhilfen (z.B. Ersatz des zweijährigen Erziehungsgelds durch das maximal 14 monatige erwerbsbezogene Elterngeld) auch dazu, daß Mütter verstärkt in den "demographischen Wachstumsmarkt" der Kranken- und Altenpflege drängen (Frauenanteil zwischen 80 und 90%! – vgl. Anmerkung 2). Allerdings setzt die Politik zugleich alles daran, die Kosten für diesen Bereich zu "dämpfen" (z.B. trotz Kostensteigerung sind die Leistungen in der Pflegeversicherung von 1995 bis 2008 nicht erhöht worden und auch heute noch nicht dynamisiert). Das hat zu einem krassen Lohngefälle geführt, welches der Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung Karl-Josef Laumann (CDU) – gestützt auf eine neue Studie – diese Woche anprangerte:
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Pfleger werden billig abgespeist
Fachkräfte in der Altenpflege verdienen ein Fünftel weniger als in anderen Branchen
Von Timot Szent-Ivanyi
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(…) Eine neue Untersuchung, die sich erstmals detailliert mit der Bezahlung der Altenpfleger beschäftigt, bestätigt das nun. Die Krankenpfleger stehen dagegen überraschend gut da.
Was die Experten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) herausgefunden haben, überrascht in seinem Ausmaß selbst Experten: Wer als ausgebildeter Pfleger alte Menschen in einem Heim oder einer ambulanten Einrichtung betreut, verdient bis zu 20 Prozent weniger als Fachkräfte in anderen Berufen. Im Vergleich zu Krankenpflegern beträgt der Unterschied sogar bis zu 30 Prozent. Zu beobachten ist bei den Gehältern der Altenpfleger zudem ein sehr starkes West-Ost und ein Nord-Süd-Gefälle. (…)

Die Studie ergab auch, dass in der Pflege deutlich mehr Menschen in Teilzeit arbeiten als in anderen Branchen. Das liegt unter anderem daran, dass in diesem Beruf überwiegend Frauen tätig sind. So beträgt die Teilzeitquote in der Altenpflege bei den Fachkräften 53 und bei den Helfern über 70 Prozent, während der Gesamtdurchschnitt in Deutschland nur bei 27 Prozent liegt. Die Teilzeitarbeit ist aber vor allem in den neuen Ländern nicht freiwillig: Hier gaben 46 Prozent der Befragten an, keinen Vollzeitjob gefunden zu haben. Im Westen betrug dieser Anteil weit unter 20 Prozent.

Laumann forderte als Konsequenz aus der Studie eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte. Dies sei zwar Sache der Tarifpartner und nicht der Politik. Aber: Wenn Fachkräfte in der Altenpflege ein Fünftel weniger verdienten als in anderen Branchen „läuft etwas falsch“.
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Zum Hintergrund:

Diese und andere "Nebenwirkungen" scheinen nur die persönlich gerade vom Vereinbarkeitsstress selbst betroffene Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles zu beschäftigen (vgl. HBF 12.01.15). Der Wille nach einer konzeptionellen Antwort darauf ist allerdings in der schwarz-roten Koalition nicht erkennbar.

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Zum Thema siehe auch:

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1)

Teilzeitarbeit - Entwicklung 1991 - 2013 und nach Geschlecht / Männern und Frauen - HBF-Daten

aus: Wachsende Bedeutung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt. DIW Wochenbericht 28.01.15, Nr. 5 / 2015

2)

Laut Beschäftigungsstatistik betragen die Frauenanteile zum 31.12.2013 in den hier betrachteten Pflegeberufen zwischen 80 und 90 Prozent (Fachkräfte in der Krankenpflege: 87 %, Fachkräfte in der Altenpflege: 85 %, Helfer in der Krankenpflege: 82 %, Helfer in der Altenpflege: 89 %).

(aus:  "Was man in den Pflegeberufen in Deutschland verdient". IAB-Studie 27. Januar 2015. Seite 8, Anmerkung 7