Kinder und Karriere:
„Es geht doch nicht!“-Berichte häufen sich
– Das nächste „G8“-Fiasko der Politik?

HBF-AKTUELL Tübingen 03. März 2014, erstellt 17:59 Uhr, Stand 04.03.14, 11:45 Uhr

Die Vereinbarkeit von “Kinder und Karriere” genießt polit-medial eine hohe Wertschätzung (HPL). Manuela (SPD), amtierende Bundesfamilienministerin, hat deshalb die doppelte, vollzeitnahe Erwerbstätigkeit für junge Eltern zu ihrer politischen Vision erklärt (vgl. HBF 2014). Flankiert wird das vom Beschluß der schwarz-roten Bundesregierung nach jahrelangen und raumgreifenden Debatten, eine verbindliche Frauenquote für die Wirschaft einzuführen (HPL).

Seit einiger Zeit häufen sich allerdings die Berichte über Mütter und Väter, die sich der Praxis des “Karriere und Kind”-Modells trotz hoher Motivation doch nicht gewachsen fühlen (HPL). Selbst weniger ambitionierte Eltern berichten laut einer neuen Studie von erheblichen Vereinbarkeitsproblemen in der bundesdeutschen Arbeitswirklichkeit (HPL). Die einschlägigen Weichenstellungen der Politik drohen damit die Lebenswirklichkeit der Familien genauso zu verfehlen, wie das politischen Schwerpunktprogramm “Turbo/G8-Gymnasium”, bei dem die Landesregierungen (im Westen) trotz jahrelanger Reparaturbemühungen nun widerwillig zum (beinahe) flächendeckenden Rückzug blasen (HPL).

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HBF-Volltext-Version

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Die Vereinbarkeit von “Kinder und Karriere” bei Müttern genießt polit-medial eine hohe Wertschätzung:

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Deutschlandfunk  RADIOFEUILLETON: KRITIK 10.06.2013 • 11:33 Uhr

Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg fordert mehr Selbstbewusstsein von Frauen. (Bild: picture alliance / dpa /Britta Pedersen)

Appell zur Eigeninitiative

SHERYL SANDBERG: “Lean In. Frauen und der Wille zum Erfolg”, Econ Verlag, Berlin 2013, 312 Seiten

Beim Thema Frauenquote in Führungspositionen deutscher Unternehmen ist noch eine Menge zu tun. Die Gründe der Ungleichverteilung sind kein Geheimnis: Alles ist gesagt. Jetzt macht die Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg in einem Buch Vorschläge, wie man das ändern kann. (…)

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F.A.S., Sonntag, den 27.01.2013, Wirtschaft 22

Die Power-Frauen erobern Davos

Das Schweizer Weltwirtschaftsforum wird weiblich: Die neuen Superstars heißen Christine Lagarde, Marissa Mayer und Sheryl Sandberg

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Manuela (SPD), amtierende Bundesfamilienministerin, hat deshalb die doppelte, vollzeitnahe Erwerbstätigkeit für junge Eltern zu ihrer politischen Vision erklärt (vgl. HBF 10.01.14 und HBF 27.01.14 ). Flankiert wird das vom Beschluß der schwarz-roten Bundesregierung nach jahrelangen und raumgreifenden Debatten, eine verbindliche Frauenquote für die Wirschaft einzuführen:

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Welt Online 19.01.14

Maas kündigt Gesetz zu Frauenquote bis Ende März an

 Regelung für Aufsichtsräte soll nur erster Schritt sein

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will bis Ende März einen Gesetzesentwurf für eine Frauenquote in Aufsichtsräten vorlegen. “Das hat absolute Priorität. Die Frauenquote in Aufsichtsräten werden die Frauenministerin Manuela und ich gemeinsam innerhalb der ersten hundert Tage auf den Weg bringen”, sagte Maas der “Bild am Sonntag”. Die Quote in den Aufsichtsräten sei “ein erster Schritt” und werde auch Auswirkungen auf die Vorstände haben. Maas kündigte auch an, im eigenen Ministerium mit gutem Beispiel voran zu gehen.

(…) Laut dem Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung soll eine Frauenquote eingeführt werden, die von 2016 an börsennotierten Unternehmen verpflichtend vorschreibt, mindestens 30 Prozent der Aufsichtsratssitze mit Frauen zu besetzen. (…)

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Seit einiger Zeit häufen sich allerdings die Berichte über Mütter und Väter, die sich der Praxis des “Karriere und Kind”-Modells trotz hoher Motivation doch nicht gewachsen fühlen:

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DER SPIEGEL 27.11.13, Nr. 48/2013, S. 156-157

ESSAY

Die große Erschöpfung

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in diesem Land immer noch ein Traum.

Von Claudia Voigt

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DIE ZEIT, 30.01.14 Nr. 6, POLITIK

Geht alles gar nicht

Dass sich Kinder und Karriere vereinbaren lassen, ist eine Lüge. Zeit für mehr Ehrlichkeit

Von Marc Brost Und Heinrich Wefing

155 Kommentare

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F.A.Z., Samstag, den 01.03.2014 Wirtschaft 20

VEREINBARKEIT IST EINE LÜGE

Kinder und Karriere zusammen gibt es nicht. Trotzdem glauben wir an die Illusion

Judith Lembke

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Seit fünf Jahren treffen sich die Ärztin, die Unternehmensberaterin und die beiden Anwältinnen jeden Donnerstagnachmittag. (…) Fragt man die Freundinnen nach den vergangenen fünf Jahren, sagen sie, dass es eine unglaubliche Zeit gewesen sei, intensiv, anstrengend, aber auch voller Glücksgefühle, die sie vorher nicht erahnt hätten.

Nach ihren Jobs gefragt, werden die Freundinnen einsilbiger. Denn in dem Maße, wie ihre Familien wuchsen, sind ihre Karriereaussichten geschrumpft. (…)

Es ist anders gekommen. Weil der Chef auf einmal nicht mehr so verständnisvoll war, als die Tochter den dritten Infekt in zwei Monaten hatte. Weil der Vater zwar sechs Monate Elternzeit genommen, aber noch nie eine Dienstreise wegen Scharlach abgesagt hat. Vor allem aber, weil auch die Freundinnen, die fest vorhatten, schnell wieder durchzustarten, sich nach der Geburt einfach nicht mehr vorstellen konnten, zehn Stunden am Tag von ihren Kindern getrennt zu sein.

Jeden Tag erleben sie eine Binsenweisheit, die so banal ist, dass sie sich im Nachhinein wundern, warum sie es nicht haben kommen sehen: Wer Karriere machen will, muss viel arbeiten. Wer viel arbeitet, hat wenig Zeit für Kinder. Oder anders herum: Die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere ist eine Lüge – zumindest, wenn das Wort Kinder dafür steht, dass man sie nicht nur bekommt, sondern sich auch selbst um sie kümmert. (…)

Vor allem wurde den Freundinnen aber viele Jahre eine dicke Lüge aufgetischt: Wenn du dich nur genug anstrengst, kannst du beides haben! Schau dir Facebook-Chefin Sheryl Sandberg oder die Yahoo-Vorstandsvorsitzende Marissa Mayer an: Sie schaffen es doch auch! Wenn du deine Zerrissenheit erst als Balance und die Quengelstunde abends mit den Kindern als „quality time“ verstehst, wirst du trotz der Kinder Karriere machen! Aber benenne nicht die Kosten dieser Vereinbarkeit – dann begehst du Verrat! Verrat an allen Frauen, die heute nach oben streben und es auch künftig tun wollen! (…)

Die Freundinnen haben ihren Kindern bewusst den Vorzug gegeben. Aber sie würden sich wünschen, dass ihre Vorgesetzten den gleichen Blick auf das (Arbeits-)Leben haben wie die Eltern eines Kleinkindes: als eine Abfolge verschiedener Phasen, die nicht linear verlaufen müssen. Im Moment mögen die Kinder im Mittelpunkt stehen. Aber das kann morgen anders sein. Und dann möchten die Freundinnen noch eine Chance. 

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siehe dazu auch:

         FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (FAZ) 26.01.2005: Alles gleichzeitig geht nicht. Warum Eltern für Kinder dasein müssen. Von Kostas Petropulos

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Selbst weniger ambitionierte Eltern berichten laut einer neuen Studie des bayerischen Staatsinstituts für Familienforschung von erheblichen Vereinbarkeitsproblemen in der bundesdeutschen Arbeitswirklichkeit:

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Pressemitteilung Otto-Friedrich-Universität Bamberg 18.02.2014 11:48

Berufsrückkehr von jungen Müttern, Enkelkinderbetreuung oder Familienunterstützung

Aktuelle Projekte und Projektergebnisse des Staatsinstituts für Familienforschung (ifb) an der Universität Bamberg

Das Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg (ifb) bearbeitet ein breit gefächertes Forschungsgebiet, denn Familie betrifft nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche bzw. wird von deren Entwicklungen betroffen. Dies zeigt unter anderem die Analyse der Berufsrückkehr von jungen Müttern unter den Bedingungen des neuen Elterngeldes. Untersucht wurde das Erwerbsverhalten von Müttern, die ihre Kinder nach der Neuregelung im Jahre 2007 geboren haben. Diese Frauen kehren tendenziell schneller in den Beruf zurück als „frühere“ Mütter. So sind rund drei Jahre nach der Geburt „nur“ noch 38 Prozent zuhause.

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Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg, ifb-Materialien 1-2013

Die Berufsrückkehr von Müttern unter den Bedingungen des neuen Elterngeldes

Broschüre mit zentralen Studienergebnissen

Marina Rupp

(…)

Die Rückkehr erfolgt sehr häufig in Teilzeit. Betrachtet man die Situation aller Mütter zum Befragungszeitpunkt, so ergibt sich folgendes Bild:

► Die berufstätigen Mütter (insgesamt 62 %) setzen sich aus vier Gruppen mit unterschiedlichem Arbeitsumfang zusammen:

► Lediglich 8 % von allen befragten Müttern sind in Vollzeit beschäftigt.

► 21 bis 34 Stunden Erwerbsumfang geben 15 % der Frauen an.

► Ein Viertel ist zwischen 11 und 20 Stunden erwerbstätig.

► 13 % arbeiten geringfügig, d.h. maximal 10 Stunden in der Woche.

► 29 % aller befragten Mütter befinden sich in der Elternzeit.

► Als Hausfrauen bezeichnen sich 6% der Befragten.

► Arbeitslosigkeit, Ausbildung oder anderes kennzeichnen die Lebensumstände von einer sehr kleinen Gruppe von 3 % der Mütter.

(….)

Bedauerlich erscheint, dass fast die Hälfte der jungen Mütter mit der Doppelbelastung durch Familie und Beruf – zumindest zu Anfang – nicht gut umgehen kann. Schwierigkeiten mit dem zeitlichen Arbeitsumfang ihrer Berufstätigkeit haben 29 % der Beschäftigten, da sie mehr arbeiten, als sie für optimal erachten. Ein Fünftel der erwerbstätigen Mütter berichtet, dass sie Befürchtungen hatten, den Anforderungen bei der Berufstätigkeit nicht (mehr) zu entsprechen. Rund jeder zehnten Mutter fällt es nicht leicht, sich wieder im Beruf zurechtzufinden.

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Kinder2

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(…) Während der Babypause haben die Frauen neue Erfahrungen gemacht. So berichten sie über Veränderungen bei sich selbst, die im Zuge ihrer wieder aufgenommenen Erwerbstätigkeit zum Tragen kommen. Diese lassen sich in negative und positive Auswirkungen unterteilen: Gut die Hälfte sagt, sie fühle sich jetzt häufiger ausgebrannt und erschöpft. Dies betrifft vor allem jene Mütter, die ein höheres Erwerbsvolumen aufweisen und große Teile ihrer Arbeitszeit von zu Hause einbringen. Fast ein Fünftel fühlt sich schneller durch beruflichen Stress überfordert als vorher.

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Kinder3

 

HBF-Bemerkung:

“Belastungen infolge der Babypause” – eine für “objektive” Wissenschaftler/innen erstaunliche Formulierung: Weder hat die Elternzeit etwas mit “Pause” zu tun, noch sind die Belastungen der erwerbstätigen Mütter eine Folge der “Babypause”, sondern ergeben sich aus der Doppelbelastung von Familie und Beruf.

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und HP-PLUS

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Die einschlägigen Weichenstellungen der Politik drohen damit die Lebenswirklichkeit der Familien genauso zu verfehlen, wie das politischen Schwerpunktprogramm “Turbo/G8-Gymnasium”, bei dem die Landesregierungen (im Westen) trotz jahrelanger Reparaturbemühungen nun widerwillig zum (beinahe) flächendeckenden Rückzug blasen:

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DIE ZEIT, 28.02.14, Nr. 10, Seite 1

DER STREIT UMS ABITUR

Länger sitzen bleiben

Viele Schulen nehmen die verkürzte Gymnasialzeit wieder zurück. Reformen von oben sind endgültig passé 

Von Thomas Kerstan

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Handelsblatt 03.03.2014

DER NEUE KULTURKAMPF

Eltern und Unternehmer fordern eine radikale Abkehr von der bisherigen Praxis des Turboabiturs.

 

Note: Mangelhaft

Nur acht statt neun Jahre bis zum Abitur – das galt einst als “Jahrhundertreform”. Doch die Ziele wurden verfehlt.

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Handelsblatt 03.03.2014

LEITARTIKEL

TURBO-ABI: AUSGEBREMST

Die achtjährige Gymnasialschulzeit in Deutschland ist gescheitert, meint Thomas Tuma.

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Leitartikel wie dieser sind üblicherweise nicht der Ort, um “ich” zu sagen. Persönliche Betroffenheit stört eine nüchterne Analyse nur. Aber vielleicht ist es in diesem Fall ehrlicher: Ich habe eine siebzehnjährige Tochter, die mitten im Abitur-Stress steckt. Und weil sie zu den ersten Jahrgängen gehörte, deren Gymnasialschulzeit von neun auf acht Jahre verkürzt wurde, bekam sie die volle Breitseite bundesdeutschen Bildungstheaters zu spüren: (…)

Noch sprechen sich die Wirtschaftsvertreter für Wahlfreiheit aus, wohlwissend, dass genau die zwangsläufig eine Rückkehr zu G9 bedeutet, weil Eltern wie Schüler das “Turbo-Abi” ablehnen. Es darf als gescheitert gelten, auch wenn die Argumente anfangs so stichhaltig klangen.

(….) Nur: Man hat schlicht den alten Stoff von neun Jahren in acht gepackt. Die Lehrpläne wurden eben nicht modernisiert. Es geht bis heute nicht um Qualität, sondern um Verdichtung. (…)

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Bei meiner Tochter kann ich mich nur entschuldigen, denn ich glaubte früher auch an die segensreiche Wirkung von G8. Sorry, Tochter, deine Wirklichkeit hat mich eines Besseren belehrt.

Der Autor ist stellvertretender Chefredakteur des Handelsblatts. Sie erreichen ihn unter: tuma@handelsblatt.com

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Zum Thema siehe auch:

   

 

 

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