Streßfaktor Kind?
– Auch Kinderlosen geht’s nicht besser!
/ DAK-Studie führt in die Irre
HBF-AKTUELL, Tübingen, 14. Februar 2014, erstellt 15:20 Uhr, Stand 17:16 Uhr
Zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr müssen junge Leute heute ihre grundlegenden Entscheidungen zu Beruf, Partnerschaft und Familiengründung treffen. Diese extrem verdichtete Zeitphase bezeichnen Fachleute als Rushhour des Lebens und sehen sie als massives Hindernis für die Umsetzung von Kinderwünschen in unserer Gesellschaft (vgl. dazu ausführlich –HPL undHBF-Lese-Tip ). Der neue DAK-Gesundheitsreport weckt jedoch Zweifel an diesem Erklärungszusammenhang (HPL).
Die angeblich „überforderte“ Generation der 30- bis 40-jährigen sei einerseits deutlich gesünder als die jüngeren und älteren Bevölkerungsgruppen (HPL); andererseits wären Eltern durch Streß nicht stärker belastet Kinderlose (HPL).
Der genaue Blick in die Studie wirft allerdings nicht nur methodische Fragen auf (HPL). Auch die Bewertung der Daten ist offenkundig nicht plausibel (HPL).
HBF-Volltext-Version
Zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr müssen junge Leute heute ihre grundlegenden Entscheidungen zu Beruf, Partnerschaft und Familiengründung treffen. Diese extrem verdichtete Zeitphase bezeichnen Fachleute als Rushhour des Lebens und sehen sie als massives Hindernis für die Umsetzung von Kinderwünschen in unserer Gesellschaft:
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Die heute 30-40-Jährigen müssen in einer relativ kurzen Zeitspanne viele für den Lebensentwurf sehr relevante Entscheidungen treffen und umsetzen. Vor allem geht es natürlich um die Lebensbereiche Familie sowie Beruf und Karriere. Wer bis 40 noch keine Kinder hat, bleibt in der Regel kinderlos (Statistisches Bundesamt 2013a), wer bis 40 gerade erst den Berufseinstieg geschafft hat, wird vieles nicht mehr aufholen können (Lothaller 2000).
Diese Feststellung, dass die heutige Altersgruppe der 30-40-Jährigen eine Phase der verkürzten „Reproduktionszeit” gleichzeitig mit den hohen Anforderungen des Berufseinstiegs und ersten Karriereschritten zu bewältigen hat, ist aus der Vogelperspektive zunächst plausibel. Es sind Makrotrends, die der Rushhour Begriff auf den Punkt zu bringen versucht: Der Trend zu immer späterer Elternschaft sowie der Trend verlängerter Ausbildungszeiten und späterem Berufseinstieg.
Die Prüfung der Rushhour-These aus der Mikroperspektive steht allerdings noch aus. Die Frage, ob auch bei den Betroffenen selbst eine Lebenssituation vorherrschend ist, die als Rushhour ankommt und fühlbar ist, ist bisher (fast) nicht untersucht.
Die Rushhour ist – der These nach – eine Phase nur schwer zu bewältigender Belastungen. Hans Bertram (2012) spricht beispielsweise von der „überforderten Generation”. Es ist eine Lebensphase, in der sich Männer und Frauen entweder fast überwältigenden Anforderungen stellen müssen. Oder sie müssen ein Scheitern in Kauf nehmen, gemessen an den eigenen Vorstellungen vom Leben. Dies wäre dann der Fall, wenn entweder der Kinderwunsch nicht realisierbar erscheint oder aber die Karriere stagniert bzw. gar nicht erst in Gang kommt, weil die Kinder zu viel abverlangen. Die Rushhour-These istsomit -zumindest implizit – auch ein Stresskonzept. (….)
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Wer in dieser Altersspanne keine Kinder hat, oder wer mit seiner Lebensplanung ohne weiteres einen Karriereverzicht vereinbaren kann, der wird die Rushhour-typischen Mehrfachbelastungen nicht bewältigen müssen.
Allerdings: Die bevorstehende Rushhour könnte als Bedrohungsszenario für diejenigen wirken, die vor der Entscheidung stehen, in nächster Zeit Kinder zu bekommen.
(aus: DAK Gesundheitsreport 2014, S. 29 und S. 37)
Vgl. dazu auch:
•Siebter Familienbericht: Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit. Perspektiven für eine lebenslaufbezogene Familienpoltik. August 2005
•Lese-Tip: HBF-Premium
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Der neue DAK-Gesundheitsreport weckt jedoch Zweifel an diesem Erklärungszusammenhang. Die angeblich „überforderte“ Generation der 30- bis 40-jährigen sei einerseits deutlich gesünder als die jüngeren und älteren Bevölkerungsgruppen; andererseits wären Eltern durch Streß nicht stärker belastet Kinderlose:
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DAK Pressemitteilung 13.02.14
DAK-Gesundheitsreport 2014: Rushhour des Lebens ohne Krankenschein
Studie untersucht Mehrfachbelastung bei 25- bis 39-Jährigen
Kind, Karriere und kein Krankenschein: Obwohl viele Männer und Frauen in der „Rushhour des Lebens” wegen Mehrfachbelastung unter Druck stehen, wirkt sich das nicht bei den Krankschreibungen aus. Laut aktuellem DAK-Gesundheitsreport sind 25- bis 39-jährige Berufstätige auf den ersten Blick sogar besonders gesund. Nach der Untersuchung haben die Erwerbstätigen mit und ohne Kinder die gleichen Belastungswerte durch chronischen Stress.
(..) Sie empfinden die Rushhour des Lebens als einen persönlichen und beruflichen „Entscheidungsmarathon“, der sich aber in dieser Phase noch nicht negativ auf ihre Gesundheit auswirkt. Im Gegensatz zu den jüngeren und älteren Erwerbstätigen sind die 25- bis 39-Jährigen besonders wenig krank. Die Zahl der Ausfalltage liegt bei den Männern 28 Prozent und bei den Frauen 24 Prozent unter dem Durchschnitt.
Der DAK-Report fragte auch nach Belastungsfaktoren wie Überforderung, zu große Verantwortung oder mangelnde Anerkennung. Dabei zeigen sich nahezu keine Unterschiede zwischen Berufstätigen mit und ohne Kinder. Selbst in Vollzeit arbeitende Mütter haben keine höheren Stresswerte als Mütter in Teilzeit oder nicht erwerbstätige Mütter. Aus Sicht der Beschäftigten bieten allerdings Arbeitgeber in der Rushhour nur begrenzte Entlastungsmöglichkeiten an. (…)
DAK-Gesundheitsreport 2014. Die Rushhour des Lebens. Gesundheit im Spannungsfeld von Job, Karriere und Familie.
weitere Grafik bei: HBF-Premium
Der genaue Blick in die Studie wirft einerseits methodische Fragen auf. So ist zweifelhaft, ob die Online/TV-Umfrage (vgl. dazu DAK-Report S.64) tatsächlich repräsentativ ist – etwa beim Blick auf die den Erwerbsumfang. Z.B. arbeiteten 66% der befragten Müttern mit einem Kind 30 Stunden und mehr (siehe HBF-Premium).
Laut Mikrozensus liegt der Anteil der vollzeit erwerbstätigen Mütter mit einem Kind (32 Arbeitsstunden und mehr) in Bevölkerung jedoch nur bei maximal 35 %:
Auch die Bewertung der Befragungsdaten ist offenkundig nicht plausibel. Die Studie räumt durchaus Unterschiede zwischen Eltern und Kinderlosen, voll- und teilzeit Beschäftigten – obwohl die Streßbelastung bei allen ähnlich hoch sei. Vollzeit erwerbstätige Eltern würden aber ihre Gesundheit stärken vernachlässen als Kinderlose (siehe Punkte Ernährung und Schlaf) … (siehe HBF-Premium).
Dennoch ist die Kernaussage der DAK-Studie – ein bei allen Gruppen ähnlich hohes Streßniveau – sehr zweifelhaft. Das zeigt ganz exemplarisch der Blick auf die Einschätzung der Work-Life-Balance (Arbeit vor Leben! – HBF-Anmerkung) bei den erwerbstätigen Müttern. Die Zufriedenheit sinkt mit dem Anstieg der wöchentlichen Arbeitszeit: