Wieviel Ungleichheit (er)verträgt das Land?
– Politik und Bevölkerungsmehrheit sehen Belastungsgrenze (noch) nicht überschritten
– (Nicht nur) Die demographischen Fakten sprechen dagegen
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HBF-AKTUELL Tübingen 9. Mai 2014, erstellt 16:43 Uhr, Stand 10.05.14, 08:38 Uhr
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Die ungleiche Vermögens- und Einkommensverteilung in Deutschland hat einen internationalen Spitzenwert erreicht (HPL), der in den Medien eine lebhafte Debatte angestoßen hat (HPL). Dagegen sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf (HPL) und kann sich dabei auch der Unterstützung durch eine klare Wählermerheit gewiß sein (HPL). Tatsächlich hat jedoch die Ungleichheit in der Gesellschaft in zentralen Bereichen ein Ausmaß angenommen, das die Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens und damit auch sein Stabilität empfindlich beeinträchtigen. Die demographische Abwärtsspirale des Landes (vgl. HBF-Themen-Archiv, FAZ und SPIEGEL) ist dafür nur ein maßgeblicher Indikator (HPL).
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HBF-VOLLTEXT
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Die ungleiche Vermögens- und Einkommensverteilung in Deutschland hat einen internationalen Spitzenwert erreicht:
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F.A.S 13.04.14
OECD-Studie
DEUTSCHLAND SCHONT SEINE REICHEN
Wer viel verdient, muss in Deutschland weniger Steuern und Sozialabgaben zahlen als anderswo. Dafür wird die Mittelschicht geschröpft.
Von Dyrk Scherff
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SPIEGEL Online 26. Februar 2014, 12:30 Uhr
Vergleich in der Euro-Zone
KLUFT ZWISCHEN ARM UND REICH IN DEUTSCHLAND AM GRÖSSTEN
Manche haben Millionen, andere nur Schulden: Laut einer DIW-Studie sind die Vermögen in keinem Euro-Land so ungleich verteilt wie in Deutschland. Der durchschnittliche Besitz von Arbeitslosen hat sich seit 2002 fast halbiert.
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handelsblatt.com 17.06.2013, 12:40 Uhr
Bundesbank
Deutsche Vermögen sind ungleich verteilt
Die Bundesbank hat die Vermögensverteilung kritisiert und vor einer Rezession gewarnt. Die Experten gehen von einem gebremsten Wirtschaftswachstum aus. Für die Zukunft sei die Entwicklung in den Krisenländern erheblich.
Das Vermögen der Deutschen ist im internationalen Vergleich eher gering und ungleich verteilt. (…) Im Vergleich mit den Euro-Ländern sei die Verteilung von Geld und Besitz zwar ungleichmäßig, aber noch „deutlich gleichmäßiger” als in den USA und der Schweiz.
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Diese Entwicklung hat zusammen mit dem international gewaltigen Echo auf das als fundiert eingestufte kapitalismuskritische Buch des französischen Ökonomen Thomas Piketty (HP-PLUS) in den Medien eine lebhafte Debatte über die Arm-Reich-Schere hierzulande angestoßen:
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DER SPIEGEL 5. Mai 2014, Nr. 19
Titel
BITTE UNTEN BLEIBEN!
Verteilung Die Thesen des französischen Kapitalismuskritikers Thomas Piketty lösen auch in Deutschland eine neue Gerechtigkeitsdebatte aus: Die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft sich, um die Aufstiegschancen ist es schlecht bestellt.
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ARD 07.05.014
Anne Will
Steuerungerechtigkeit mit System – Warum werden nur die Reichen immer reicher?
Weltweit sorgen die Thesen des französischen Kapitalismuskritikers Thomas Piketty für Furore. Er warnt: Die Schere zwischen Arm und Reich werde immer größer. Das gefährde unsere Demokratie und unsere Werte. Anne Will diskutiert mit:
- Katja Kipping (Die Linke), Parteivorsitzende
- Steffen Kampeter (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium
- Rainer Hank, Ressortleiter Wirtschaft bei der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”
- Giacomo Corneo, Wirtschaftswissenschaftler
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Dagegen sieht die Bundesregierung weiterhin keinen Handlungsbedarf weder bei der Besteuerung von Spitzeneinkommen (vgl. schwarz-rote Koalitionsvereinbarung) noch bei der erneut aufgeflammten Debatte über die “kalte Progression” im Steuerrecht, die die Mittelschicht trifft:
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Tagesspiegel 08.05.2014 18:46 Uhr
Kalte Progression
Warum Merkel keine Steuersenkung will
Ende der Debatte um die kalte Progression: Angela Merkel sieht trotz steigender Steuereinnahmen keine Spielräume für eine Entlastung der Bürger. Wenn es um Steuern geht, ist sie eben eine echte Konservative.
von Fabian Leber
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Für diesen Kurs kann sich die Regierung auch der Unterstützung durch eine klare Wählermerheit gewiß sein – obwohl die jüngste Steuerschätzung den öffentlichen Haushalten bis 2018 gegenüber den bisherigen Haushaltsplanungen rund 19 Mrd. Euro Mehreinnahmen voraussagt:
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Die Welt 09.05.14
Mehrheit hält Mittelschicht für steuerlich benachteiligt
Die Steuereinnahmen sprudeln – aber Steuersenkungen gibt es keine. Wie finden das die Deutschen? Und wer kommt im deutschen Steuersystem eigentlich besonders schlecht weg? In einer N24/Emnid-Umfrage beurteilt die Mehrheit der Befragten das Steuersystem als ungerecht. (…)
Dass es auf absehbare Zeit keine echten steuerlichen Entlastungen geben wird, finden die meisten Deutschen in Ordnung. Nur 13 Prozent der Befragten fordern Steuersenkungen. Die Mehrheit von 61 Prozent der Deutschen würde die Steuermehreinnahmen lieber in Bildung oder Infrastruktur investieren. Weitere 23 Prozent wollen mit dem Geld die Staatsverschuldung abbauen.
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Tatsächlich hat jedoch die Ungleichheit in der Gesellschaft in zentralen Bereichen ein Ausmaß angenommen, das die Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens und damit auch sein Stabilität empfindlich beeinträchtigen. Beispielsweise besteht schon seit Jahrzehnten ein dramatischer Einkommensrückstand von Familien gegenüber Haushalten ohne Kinder (vgl. z.B. Langzeitvergleich des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg – in: HBF 27.09.02). Nach den jüngsten Daten des Familienbundes Freiburges ist dieser Abstand zwischen 2013 und 2014 weiter gewachsen: So ist etwa der Einkommensvorsprung eines Singles gegenüber einem Ehepaar von 14.596 auf 14.780 Euro angewachsen (bei einem Haushaltseinkommen 30.000 Euro – vgl. dazu ausführlich HBF 24.01.14). Dieser Einkommensnachteil gilt als eine maßgebliche Ursache für die ungebremste demographische Abwärtsspirale des Landes:
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BAT-STIFTUNG FÜR ZUKUNFTSFRAGEN Forschung aktuell, 248, 34. Jg., 01.08.2013
KEIN GELD UND KEINE KARRIERE:
Weshalb die Deutschen keine Kinder bekommen
(….) Weshalb aber bekommen die Bundesbürger so wenige Kinder? Dieser Frage ist die gemeinnützige BAT-STIFTUNG FÜR ZUKUNFTSFRAGEN in ihrer aktuellen Untersuchung nachgegangen und hat repräsentativ über 2.000 Personen ab 14 Jahren gefragt, warum so viele Deutsche keine Familie gründen. (…)
Die Mehrheit der Bürger führt die finanziellen Kosten für den Nachwuchs, die Angst, die eigene Freiheit zu verlieren, sowie die Sorge vor einem Karriereknick als wesentliche Gründe für die Kinderlosigkeit an. Fehlende staatliche Voraussetzungen wie z.B. nicht genügend Betreuungsangebote werden ebenfalls von fast jedem zweiten Bürger angeführt, wobei dieses Argument im Westen deutlich öfter (63%) genannt wird als im Osten (40%). (…)
So beklagen Familien überdurchschnittlich oft fehlende staatliche Voraussetzungen (50%), kinderlose Paare nennen ein nicht vorhandenes, ausgewogenes Verhältnis zwischen Beruf und Familie (58%), und Singles führen überdurchschnittlich oft die Angst vor Scheidung an (24%). (…)
Im Jahresvergleich zu 2011 zeigt sich, dass finanzielle (+9 Prozentpunkte) und berufliche Gründe (+6 PP) häufiger angeführt werden, wohingegen das Argument der unsicheren Zukunft für die Kinder deutlich an Bedeutung verloren hat (−7 PP). (….)
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siehe dazu auch:
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DER SPIEGEL 5. Mai 2014, Nr. 19
BITTE UNTEN BLEIBEN!
(…) Ungleichheit entsteht im deutschen System schon dadurch, dass zwar die jeweilige Generation aller Erwerbstätigen per Umlagesystem die Renten finanziert. Dagegen bleiben aber „die Kosten für Kindererziehung und -betreuung nach wie vor weitgehend an den Familien hängen”, wie das Berlin-Institut feststellt. Das Armutsrisiko ist denn auch „in den jüngeren Altersgruppen deutlich höher als in den älteren”. Nur 2,7 Prozent der über 65-Jährigen bezog 2012 Grundsicherungsleistungen. Von den unter 15-Jährigen lebte dagegen 2011 ein sechsmal so hoher Anteil von Hartz IV.
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F.A.Z., Mittwoch, den 07.05.2014 Feuilleton 13
ANLEITUNG ZUM WENIGERSEIN
Ob man, wie die Schweiz, den Zuzug begrenzen will oder darauf hofft, dass Einwanderung die demographischen Probleme löst – die europäischen Länder sollten damit rechnen, dass ihre Bevölkerung schrumpft. Das wird schwer genug.
Von Reiner Klingholz*
(….)
Vor allem können Zuwanderer die massiven regionalen Bevölkerungsverwerfungen nicht abmildern. So ist der Einwohnerschwund vor allem in den ländlichen Gebieten Deutschlands, insbesondere im Osten, spürbar, die zu wenige Arbeitsplätze bieten und zu weit entfernt von den Metropolregionen liegen. An diesen Gebieten ist die Zuwanderung der vergangenen Jahre komplett vorbeigegangen. Warum aber sollten künftig Inder und Chinesen ausgerechnet dorthin ziehen, wo die Einheimischen aus guten Gründen fortgezogen sind?
Selbst wenn also die Gesamtbevölkerung mit Hilfe der Zuwanderer wüchse, hätte dies zur Folge, dass die Infrastruktur in den wirtschaftsstarken Städten aufwendig ausgebaut werden müsste, während der kaum aufzuhaltende Schwund in der Peripherie ebenfalls hohe Kosten verursacht. (….)
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Nicht weniger beunruhigend ist angespannte Verhältnis zwischen der jungen und alten Generation, das durch das schwarz-rote Rentenpaket für Mütter und Langzeitversicherte weiteren Belastungen ausgesetzt wird:
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siehe dazu auch:
- Schwarz-roter Rentenplan: Mit Vollgas in den „Generationenkonflikt“ – Vom falschen Krieg und seinen Profiteuren (HBF 09.12.13)
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Besorgniserrgend ist zudem auch die politisch ungebremste Polarisierung zwischen leistungsstarken und ressoucenarmen Familien. Die fehlende Unterstützung durch die eigenen Eltern und/oder unzureichende staatliche Förderung führt bei den benachteiligten Kindern und Jugendlichen zu einem “Status-Fatalismus”, der jeglichen sozialen und beruflichen Aufstiegswillen lähmt – eine Verschleuderung von dringend benötigten Potentialen in unserer nachwuchsarmen Altenrepublik:
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Eine Längsschnittanalyse für den UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland 2013 ergab, dass zwischen 2000 und 2010 rund 8,6 Prozent der Kinder und Jugendlichen langjährige Armutserfahrungen gemacht haben. Die meisten von ihnen (6,9 Prozent) lebten zwischen 7 und 11 Jahre lang in einem Haushalt, der mit weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens auskommen musste. 1,7 Prozent aller Heranwachsenden wuchsen sogar 12 bis 17 Jahre unter diesen schwierigen Bedingungen auf. Auf die heutige Situation bezogen wären demnach insgesamt rund 1,1 Millionen Heranwachsende einen Großteil ihrer Kindheit und Jugend relativer Armut ausgesetzt. (…)
Je länger und je öfter Kinder Phasen von relativer Armut durchleben, desto negativer sind die Folgen nicht nur für die materielle Situation. Wer als Kind dauerhaft unterhalb der Armutsgrenze leben muss, ist als Erwachsener deutlich unzufriedener mit seinem Leben. Gelernte Hoffnungslosigkeit macht es schwer, Herausforderungen im weiteren Leben zu meistern.
(aus: Unicef-Bericht zur Lage von Kindern in Deutschland 2013. Pressemitteilung. UNICEF-Deutschland 24.10.13)
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und HP-PLUS
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Die mit Abstand folgenschwerste gesellschaftliche Polarisierung zeigt sich jedoch in der polit-medialen Überhöhung der Erwerbsarbeit für Eltern bei gleichzeitiger Geringschätzung von persönlicher Zuwendungsarbeit innerhalb der Familien. Daran erinnert – kurz vor dem diesjährigen Muttertag – ein unabhängig denkender Redakteur der WirtschaftsWoche:
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Handelsblatt.com/WirtschaftsWoche 07. Mai 2014
Familie und Beruf
HALTET DIE HAUSARBEIT IN EHREN!
Familienpolitik hat heute vor allem ein Ziel: Häusliche Arbeit zu diskreditieren und Eltern für das Erwerbsleben “frei” zu machen. Es wird höchste Zeit für eine neue Wertschätzung der unbezahlten Arbeit.
Ferdinand Knauß
Morgen trifft man sich mal wieder. Bundesfamilienministerin Manuela wird zu Gast sein im Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin, um mit dessen Direktorin Jutta Allmendinger und anderen über den “Ausweg” aus “tradierten Rollen” zu sprechen. Darüber also, wie “Erwerbsarbeit und unbezahlte Familienarbeit zwischen Frauen und Männern fairer zu verteilen” sind.
Mit “Familienpolitik 2.0” überschreibt die Ministerin ihren Vortrag. Doch was damit gemeint ist, sollte besser Anti-Familienpolitik heißen. (….)
Denn sie lässt Familien zwar als Brosamen Elterngeld oder das viel kritisierte Betreuungsgeld zukommen. Doch das eigentliche Ziel dieser Politik ist nicht die Stärkung, sondern die Schwächung der Familie, indem sie die Wertschätzung der in keiner BIP-Statistik verzeichneten, aber für die Gesellschaft unverzichtbaren Dienstleistungen in den Familien beständig untergräbt. (….)
Die Familie ist in dieser Erzählung ein gesellschaftliches Gefängnis, das die Frauen daran hindert, sich frei zu entfalten – nämlich durch Erwerbsarbeit. Es ist daher auch eine sozialdemokratische, letztlich eine marxistisch-materialistische Erzählung, da sie auf der Überzeugung fußt, dass nur die Erwerbsarbeit dem Leben einen Sinn gibt.
Die “Herdprämie” passt perfekt in diese Erzählung. (….) Wer “Herdprämie” sagt, denkt an das “Heimchen am Herd” und unterstellt, dass der “Herd”, also die solidarisch geleistete Hausarbeit jenseits des Marktes, eigentlich minderwertig gegenüber der ökonomisch formalisierten Arbeit ist. Und dass die “Herdprämie” die Fesseln der Frauen aufrecht erhalten will. (….)
Doch die Gegenbewegung gegen die Expansion der Erwerbsarbeit kann gar nicht ausbleiben. Die seelischen Volkskrankheiten der Gegenwart – Burn-Out und ähnliche – sind auch Symptome des Ungleichgewichts zwischen Erwerbsleben und Privatheit. (….)
Eine neue Wertschätzung für unbezahlte Arbeit in der Familie wird vermutlich schon dadurch unausweichlich, dass die Wachstumsmöglichkeiten der Wirtschaft und des Staates unübersehbar an ihre Grenzen kommen. Wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst, werden die Menschen umso mehr auf ihre Familien angewiesen sein. (….)
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siehe dazu auch:
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Zum Thema siehe auch:
- HBF-Themen-Archiv “Alterung / Folgen / Reaktionen”
- HBF-Themen-Archiv “Kinderlose und Familien”
- HBF-Themen-Archiv “Erziehungseinkommen/gehalt”
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