Elterngeld „PLUS“:
Schwarz-rote „Stärkung“ der Arbeitsbereitschaft von Müttern
geht Experten zu weit
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HBF-Aktuell, Tübingen 15. Oktober 2014, erstellt 15:50 Uhr, Stand 20:10 Uhr
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Die "Modernisierung" der Familienpolitik seit der Jahrtausendwende durch die Bundesregierungen (vgl. HBF-Themen-Archiv) findet den Beifall von Experten/innen und Öffentlichkeit. Das gilt gerade für ihren zentralen Baustein: Die Stärkung der Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern (ohne substanzielle Verringerung bei den Vätern). Mit der schwarz-roten Erweiterung des Elterngelds (Elterngeld PLUS) zur Föderung der doppelten Teilzeitarbeit während der Elternzeit soll diese Entwicklung weiter vorangetrieben werden. Die einschlägigen "Anreize" für Mütter gehen allerdings sogar Befürworter/innen zu weit, wie sich jetzt bei einer Experten-Anhörung zeigte (HPL). Zur Überraschung politischer Beobachter gab es dabei aus berufenem Munde (HPL) sogar den Vorwurf an den Gesetzgeber damit die Lebenswirklichkeit absichtsvoll zu verfehlen (HPL).
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HBF-VOLLTEXT
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Die "Modernisierung" der Familienpolitik seit der Jahrtausendwende durch die Bundesregierungen (vgl. HBF-Themen-Archiv) findet den Beifall von Experten/innen und Öffentlichkeit. Das gilt gerade für ihren zentralen Baustein: Die Stärkung der Arbeitsmarktbeteiligung von Müttern (ohne substanzielle Verringerung bei den Vätern). Mit der schwarz-roten Erweiterung des Elterngelds (Elterngeld PLUS) zur Föderung der doppelten Teilzeitarbeit während der Elternzeit soll diese Entwicklung weiter vorangetrieben werden. Die einschlägigen "Anreize" für Mütter gehen allerdings sogar Befürworter/innen zu weit, wie sich jetzt bei der Experten-Anhörung im Bundestag zeigte:
°Änderungswünsche beim Elterngeld PlusBerlin: (hib/AW) Experten fordern trotz prinzipieller Zustimmung Nachbesserungen am geplanten Elterngeld Plus. Der Familienausschuss hörte am Montag acht Sachverständige zum entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/2583, 18/2625) an.°(….) Änderungen am Gesetzentwurf wünscht sich auch der Verband alleinerziehender Mütter und Väter (Vamv). Alleinerziehende mit Kindern unter drei Jahren seien im Durchschnitt 7,8 Wochenstunden erwerbstätig. Der Korridor von 25 bis 30 Wochenstunden für eine Teilzeitbeschäftigung während der Elterngeldbezuges sei deshalb eine faktisch zu hohe Hürde, sagte die Vamv-Vertreterin Edith Schwab. Dies kritisierten auch die Sozial- und Familienexpertin Maria Wersig von der Hochschule Hannover und Gerrit Forst. Der Stundenkorridor für eine Teilzeitbeschäftigung sei zu restriktiv.°°(….) Alleinerziehende sind bis zum Alter des jüngsten Kindes von 15 Jahren durchschnittlich nicht mehr als 23,6 Wochenstunden erwerbstätig. Mit Kindern unter drei Jahren sind sie im Durchschnitt 7,8 Wochenstunden erwerbstätig (vgl. BMFSFJ 2014: Dossier Müttererwerbstätigkeit. Erwerbstätigkeit, Erwerbsumfang und Erwerbsvolumen 2012).(…) Der VAMV hält deshalb ein Erwerbsvolumen von 25 bis 30 Wochenstunden für Alleinerziehende mit einem Unter-Dreijährigen Kind in der Mehrheit der Fälle für unrealistisch. Der VAMV befürchtet, dass auch an diesem Punkt die explizite Intention des Gesetzgebers, „Alleinerziehende, die die Aufgaben ohne partnerschaftliche Unterstützung zu bewältigen haben", in entsprechender Weise zu fördern (BEEG-E: S. 2) ins Leere läuft, da sie an der Lebensrealität von vielen Alleinerziehenden vorbeigeht. Um tatsächlich auch Alleinerziehende zu erreichen, regt der VAMV deshalb an, für Alleinerziehende mehr Spielraum hin zu einem geringeren Erwerbsumfang als Anspruchsvoraussetzung vorzusehen, der gleichzeitig das Ziel einer eigenständigen Existenzsicherung nicht aus dem Blick verliert. Für Alleinerziehende sollte die Untergrenze nicht über 19,5 Stunden liegen. (…)°°(…) Für problematisch halte ich den engen Korridor von 25 bis 30 Wochenstunden im Monatsdurchschnitt aber auch bei Paaren. Diese Schwellen können leicht nach oben oder unten durchbrochen werden, so dass es überlegenswert ist, den Korridor für alle Personengruppen auszuweiten. (…)
Zur Überraschung politischer Beobachter gab es dabei aus berufenem Munde (HPL) sogar den Vorwurf an den Gesetzgeber damit die Lebenswirklichkeit absichtsvoll zu verfehlen. Hans Bertram, der Leiter der 7. Famlienberichtskommission (2005), stellte klar:
Der Soziologe Hans Bertram von der Humboldt-Universität Berlin gab zu bedenken, dass die Elternzeit- und Elterngeld-Modelle vor allem von Eltern mit ähnlichen und vergleichsweise guten Einkommen bevorzugt würden. Es sei deshalb fraglich, ob Elterngeld und Elternzeit der beste Weg sei, um Familie und Berufsleben verstärkt partnerschaftlich zu organisieren. Man müsse sich überlegen, ob die Einführung einer Grundsicherung für Kinder nicht der erfolgversprechendere Ansatz sei. Dies werde auch den sehr unterschiedlichen Familienmodellen gerechter.(aus: Änderungswünsche beim Elterngeld Plus. Heute im Bundestag Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – 13.10.2014)°°Die hier angedachte Regelung bezieht sich aber nur auf jene 20 Prozent, die der Kinder wegen in Teilzeit tätig oder die überhaupt nicht berufstätig sind. (…)Ein Modell (25/30:30/30) ist jedenfalls in dieser Form in Europa als Partnerschaftsmodell weder in den nordeuropäischen Ländern noch in West- oder Südeuropa zu finden. (….)Die überwältigende Mehrheit der Mütter mit Kindern ist mit ihrer Arbeitszeit zufrieden; hier gibt es aber einen Anteil von etwa 10 bis 20 Prozent, je nach ausgeübter Arbeitszeit, die sich mehr Arbeitszeit wünschen. Die Zufriedenheit ist bei den Vätern ähnlich hoch; die Wünsche nach weniger Arbeitszeit sind eher schwach ausgeprägt. (….)Bei gut qualifizierten wissenschaftlichen Mitarbeitern von Forschungsinstituten mit einer hohen Homogamie und Dauerarbeitsverhältnissen oder auch in Bundesministerien oder den oberen Bundes- und Länderbehörden ist eine Regelung, die die gleiche Präsenz am Arbeitsmarkt zur Grundlage macht, ein attraktives Modell, allerdings nur dann, wenn nur ein Kind vorhanden ist. (….) Es ist eine politische und keine wissenschaftliche Entscheidung, ob Zielvorstellungen gesetzlich zu formulieren sind, die vor allem einigen spezifischen Gruppen und spezifischen Arbeitsverhältnissen entgegenkommen, vor allem im öffentlichen Dienst. (…)Allerdings führt die bisherige Nichtberücksichtigung der unterschiedlichen Fürsorgeleistungen durch Alleinerziehende und in Mehrkinderfamilien auch dazu, dass plötzlich implizit die Norm der Ein-Kind-Familie und die Norm des erfolgreichen zusammenlebenden Paares zum Bestandteil einer Familienpolitik wird, die eigentlich den Anspruch hatte, die Vielfalt der Lebensverhältnisse, die Unterschiedlichkeit der Lebensentwürfe und die Unterschiedlichkeit auch der Fürsorgeleistungen von Familien als Bestandteil einer nachhaltigen Familienpolitik zu akzeptieren. (….)
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Zum Thema siehe auch: