VÄTER IN ELTERNZEIT:
Männer als „Helden“ (immer noch) WENIG GEFRAGT
/ "Moderne" Familienpolitik stabilisiert Status Quo
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HBF-Aktuell/TV-TIP, Tübingen 19.01.15, erstellt 19:22 Uhr, Stand 20.01.15, 10:05 Uhr
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Eine aktuelle TV-Reportage (HPL) geht (auch) der Frage nach, warum Väter trotz des Elterngelds die (bezahlte) Elternzeit weitaus geringer nutzen als Mütter. Laut Umfragen (HPL) und Studien (HPL) sei eine partnerschaftliche Aufteilung der Erziehungsarbeit das mehrheitlich von den Paaren angestrebte Modell. Ein renommierter Soziologe hatte diese Diskrepanz bereits vor Jahren auf eine (sehr) schlichte und vielzierte Formel gebracht (HPL). Tatsächlich ist die Wirklichkeit nicht nur komplexer, wie die Dokumentation zeigt (HPL). Unfreiwillig liefert sie zudem eine Bestätigung für die These, daß die „moderne“ Familienpolitik entgegen ihrem eigenen Anspruch diese Rollenaufteilung sogar stabilisiert, statt sie aufzubrechen (HPL).

 

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HBF-VOLLTEXT
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Eine aktuelle TV-Reportage geht (auch) der Frage nach, warum Väter trotz des Elterngelds die (bezahlte) Elternzeit weitaus geringer nutzen als Mütter:
Die Story im Ersten: Papa, trau Dich!
Väter zwischen Kind und Karriere
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Vorschau auf "Die Story im Ersten: Papa trau Dich!" (Mo, 19.1., 22:45 Uhr)
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Wenn ein Kind unterwegs ist, haben Väter oft Muffensausen: vor der Verantwortung, der neuen Rolle, vor allem aber vor dem Chef. Wird er die Augenbrauen hochziehen, wenn Mann Elternzeit beantragt, werden die Kollegen lästern? Arne B. arbeitet als Mechatroniker bei Bosch. Sieben Monate nimmt er sich frei für sein Kind, danach wird er in die Firma zurückkehren. Selbst für ein Unternehmen wie Bosch, das als ausgesprochen familienfreundlich gilt, ist das eine Herausforderung. Immer mehr Väter wollen in die Elternzeit.
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"Sie haben doch eine Frau!"
 Ingo S. wurde nach der Elternzeit gekündigt.
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Doch viele Männer haben auch Angst vor einem Karriereknick und Angst vor der Reaktion des Chefs. Väter brauchen offenbar Mut, um Elternzeit zu beantragen. Ingo S. verlor nach der Elternzeit seinen Job. Sein Chef fand, er kümmere sich zu viel um die Kinder und zu wenig um die Firma. Er habe doch schließlich eine Frau. Als Ingo S. eine Konferenz frühzeitig verließ, um sein krankes Kind aus der Kita abzuholen, folgte die Kündigung. Trotzdem bedauert es Ingo S. nicht, sich Zeit für seine Kinder genommen zu haben.
Inzwischen berichten Personalchefs, dass in Einstellungsgesprächen junge Leute nicht mehr von Dienstwagen und Sekretärin träumen, sondern abfragten, wie sie Familie und Beruf vereinbaren könnten. Immer mehr Firmen reagieren auf solche Wünsche, sogar in klassischen Männerdomänen. In der Commerzbank gibt es diverse Elternzeitmodelle: Abteilungsleiter Gerd G. hat gerade seine Arbeitszeit auf 50 Prozent reduziert, weil er sich mehr um sein Kind kümmern will.
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Auch die Firmen profitieren
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Die Firma VAUDE versucht, mit einer Kita auf dem Firmengelände und flexiblen Arbeitszeiten junge Fachkräfte in die Provinz zu locken und Baufirmen auf der Suche nach Facharbeitern erlauben ihren Maurern flexible Arbeitszeiten, damit die sich um ihre Kinder kümmern können. Bei Arne B. hat es geklappt mit der Elternzeit. Die Firma kann es sich nicht leisten, auf ihre Mechatroniker und Ingenieure zu verzichten. 5000 Patente werden bei Bosch jährlich angemeldet, 20 pro Arbeitstag. Das Wissen der Mitarbeiter soll nicht an der Wickelkommode enden. Was hat er in der Elternzeit gelernt? Mehr Geduld, Einfühlungsvermögen und Verständnis, sagt Arne B. und davon profitiere auch die Firma. Also: Papa, trau dich!
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Ein Film von Rita Knobel-Ulrich
Laut Umfragen und Studien sei eine partnerschaftliche Aufteilung der Erziehungsarbeit das mehrheitlich von den Paaren angestrebte Modell:
Rollenaufteilung / Gewünschte Arbeitsteilung in der Familie 2008 - HBF-Daten
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Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch eine neue Lohnersatzleistung bei Familienarbeitszeit
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(….)
Die Umfrage Familien in Deutschland (FiD) 3 zeigt, dass gut 60 Prozent der Eltern, deren jüngstes Kind zwischen einem und drei Jahre alt ist, wünschen, dass bei­ de Partner in gleichem Umfang erwerbstätig sind und sich gleichermaßen um Haushalt und Familie kümmern. Allerdings erreichen nur ungefähr 14 Prozent dieser Familien tatsächlich eine gleichmäßige Auftei­ lung der Erwerbstätigkeit, wovon allerdings 75 Prozent Familien sind, in denen beide Partner Vollzeit arbeiten.
Der renommierte und unlängst verstorbene Münchner Soziologe Ulrich Beck hatte diese Diskrepanz bereits vor Jahren auf die (sehr) schlichte und vielzierte Formel "verbale Aufgeschlossenheit (der Männer) bei weitgehender Verhaltensstarre" gebracht. Tatsächlich ist die Wirklichkeit nicht nur komplexer, wie die Dokumentation zeigt: Abgesehen von den realen Einkommensverhältnissen vieler Familien ist die öffentlich immer wieder bekundete "Väter-Freundlichkeit" der Wirtschaft vielerorts nur graue Theorie, wie die Autorin der ARD-Doku selbst einräumt…
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VÄTER ZWISCHEN KIND UND KARRIERE
Held oder Weichkeks?
Ein paar Monate Elternzeit – viele Väter befürchten danach das Karriere-Aus. Betriebswirt Ingo Stober wurde sogar gefeuert. Dagegen bekommt Ingenieur Arne Brixel von seiner Firma den roten Rückkehrerteppich ausgerollt.
Von Rita Knobel-Ulrich
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(….) Brixel, 32, ist Ingenieur bei Bosch in Stuttgart – und macht sieben Monate lang Elternzeit. Die Firma ermutigt Väter, sich fürs Kind Zeit zu nehmen, und wertet das sogar als "Karrierebaustein", gleichwertig einem Auslandsaufenthalt.  (….)
Während Arne Brixel seinen Sohn wickelt, erzählt er, dass er sich für seine Entscheidung rechtfertigen musste. Seine Mutter machte sich Sorgen, ob das zum Karriere-Aus führen würde. Freunde hätten ihn zwar nicht direkt für bekloppt erklärt, aber zu seinem Mut gratuliert und bekannt: Sie hätten sich das nicht getraut.
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Vaters Courage: Ein böses Erwachen
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Braucht es wirklich Courage für eine Auszeit als Vater? Viele Männer, das zeigen Umfragen, fürchten das Gespräch mit dem Chef, das Naserümpfen der Kollegen. Und es spricht sich herum, dass manche Väter die Entscheidung fürs Kind teuer bezahlen.
Für den Berliner Betriebswirt Ingo Stober gab es nach seiner Elternzeit ein böses Erwachen: Er wollte sich mit seiner Frau, einer Unternehmensberaterin, die Verantwortung für die Kinder teilen, auch weil er selbst unter einer vaterlosen Kindheit gelitten hatte. Stobers Vater hatte nie Zeit, verfolgte seine Karriere: "Ich hatte damals das Gefühl, dass mir etwas fehlt – warum ist die Arbeit für meinen Vater wichtiger als die Zeit mit mir!?"
Die Stobers brachten ihre Kinder in einer Kita unter. Alles lief gut, bis Tochter Antonia krank wurde und Stober vorzeitig eine Konferenz verließ. Die Kündigung folgte. Sein 80-jähriger Chef fand, Stober kümmere sich zu viel um seine Kinder, er habe schließlich eine Frau. Es könne doch so laufen wie beim Chef selbst früher. Stober hatte eine verantwortungsvolle Position in dem mittelständischen Familienunternehmen. (…)
…und selbst die in der ARD-Doku gezeigten Vorzeige-Unternehmen sind sicher nicht repräsentativ für die Situation der meisten Betriebe. Entweder handelt es sich bei ihnen um große und finanzstarke Firmen, die sich solche Väter leiten können:
Brixel, 32, ist Ingenieur bei BOSCH in Stuttgart – und macht sieben Monate lang Elternzeit. Die Firma ermutigt Väter, sich fürs Kind Zeit zu nehmen, und wertet das sogar als "Karrierebaustein", gleichwertig einem Auslandsaufenthalt. Trotzdem hat sein Chef geschluckt. Hätten die Kollegen Brixels Arbeitspensum mit stemmen müssen, wäre es zu erheblicher Unruhe in der Abteilung gekommen, gibt der Vorgesetzte zu. Doch es wurde ein Ersatzmann eingestellt.
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(aus:  VÄTER ZWISCHEN KIND UND KARRIERE: Held oder Weichkeks? SPIEGEL Online 19. Januar 2015, 11:02 Uhr
….oder um Betriebe jenseits der Metropolen, die nur mit tatsächlicher Familienfreundlichkeit beim härter werdenden Kampf um Fachkräfte punkten können:
Inzwischen wissen manche Unternehmen, dass sie mit Familienfreundlichkeit punkten können. Die Firma VAUDE zum Beispiel, die hochwertige Bergsportausrüstung verkauft, beschäftigt in Tettnang, einem Nest am Bodensee, 500 Mitarbeiter – und betreibt einen eigenen Kindergarten. Inhaberin Antje von Dewitz hat selbst vier Kinder. Als sie merkte, wie schwer es ist, Kind und Beruf zu vereinbaren, gründete sie die Kita: "Ich war schwanger, als ich ins Unternehmen eintrat. Das war für mich eine neue Welt."
Maschinenbauingenieur Mario Schlegel, 44, schätzt die firmeneigene Kita für seine beiden Söhne. Zu Hause hält ihm niemand den Rücken frei, seine Frau arbeitet unter der Woche in München. Für Schlegel war die Familienfreundlichkeit der Firma sogar ein Grund, den Job am Bodensee anzunehmen. "Das Angebot mit dem Kinderhaus ist schon toll. In der städtischen Einrichtung in München gab es begrenzte Schließzeiten, riesige Kindergruppen, weite Wege. Hier ist das alles optimal."
Für den Betrieb bedeutet das ständige Kommen und Gehen viel Planungsaufwand, höhere Kosten. 45 Leute der Belegschaft waren 2014 in Elternzeit. Drei Viertel aller Mitarbeiter arbeiten in Teilzeit, morgens, nachmittags, an unterschiedlichen Tagen. Konferenzen müssen oft monatelang vorausgeplant werden.
Doch Fachkräfte wachsen nicht auf den Bäumen, sagt Antje von Dewitz: "Wir sind darauf angewiesen, dass Leute aus ganz Deutschland zu uns kommen.
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(aus: ebda)
Unfreiwillig liefert die ARD-Väter-Dokumentation zudem eine Bestätigung für die These, daß die „moderne“ Familienpolitik entgegen ihrem eigenen Anspruch diese Rollenaufteilung sogar stabilisiert, statt sie aufzubrechen. So hat die Reporterin Rita Knobel-Ulrich zu ihrer eigenen Enttäuschung eine bemerkenswerte Beobachtung gemacht, wie sie im SZ-Interview einräumen muß:
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ARD-Doku "Papa, trau Dich!"
 VATER, KIND, KÜNDIGUNG?
Noch immer gehen kaum Väter in Elternzeit – und wenn doch, dann meist nur für die obligatorischen zwei Monate. Rita Knobel-Ulrich hat für die ARD-Dokumentation Papa, trau Dich! Väter begleitet, die bei der Betreuung ihrer Kinder Verantwortung übernommen haben. Was sie aus diesen Begegnungen über Männer, Frauen und Familien gelernt hat, erzählt sie im Interview.
 Interview von Matthias Kohlmaier
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(…)
SZ.de: Ihr Film deutet an, dass die geringe Quote der Väter in Elternzeit nicht ausschließlich berufliche Gründe hat. Welche Rolle spielen die Frauen beziehungsweise Mütter dabei?
Rita Knobel-Ulrich: Tatsächlich reklamieren ganz viele Frauen die Kinderbetreuung für sich. Ich habe mehrere Männer gefragt, ob sie sich hätten vorstellen können, die Elternzeit mit ihren Frauen 50:50 zu teilen. Viele haben geantwortet, dass das für sie durchaus eine Möglichkeit gewesen wäre – die Frauen aber kein Interesse daran hatten. Manche Frauen wollen ganz offenbar die Hoheit über das Kinderbett ungern abgeben.
SZ.de: Die Frauen haben in den angesprochenen Fällen den Wunsch der Väter nach einer längeren Elternzeit also nicht unterstützt.
Rita Knobel-Ulrich: Das kann man so sagen. Selbst bei hochqualifizierten und intelligenten Frauen ist das offenbar häufig der Fall.  Mit der Folge, dass viele dieser Frauen in ihrem Beruf Jahre verlieren, später oft nur noch Teilzeit arbeiten und eben nicht mehr die große Karriere machen.
SZ.de: Das klassische und vermeintlich überholte Rollenverständnis lebt also immer noch?
Rita Knobel-Ulrich: Ja, leider. (…)
Diese stärkere Familienorientierung der Mütter bestätigt auch die letzte Woche veröffentlichte Elternstudie der Zeitschrift Eltern:
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Gewünschte Rollenaufteilung von Müttern und Vätern bei der Kinderziehung 2014 - HBF-Datenaus: Eltern 2015 – wie geht es uns? / Und unseren Kindern? Präsentation. S. 15
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Differenziert man die Daten nach dem Alter der Paare, dann nimmt gerade bei den Älteren der Wunsch nach einem partnerschaftlichen Familienmodell deutlich ab:
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Gewünschte Rollenaufteilung von Müttern und Vätern bei der Kinderziehung nach Altersgruppen 2014 - HBF-Datenaus: Ansprüche ans Elternsein. forsa-Berichtsband. S. 5

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Daß der Wunsch nach der Hauptverantwortung für die Kindererziehung offenkundig mit dem Alter der Mütter zunimmt, erscheint nicht überraschend. Die heutigen Rahmenbedingungen im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt, die an junge Menschen immer höhere Qualifikationsanforderungen stellen, haben in Kombination mit der "modernisierten" Familienpolitik einen Effekt: Die Paare entscheiden sich immer später für Kinder und die politisch gestützen Familienphasen werden immer kürzer. Genau das führt zur sogenannten und oft problematisierten Rush-hour des Lebens – einer zeitlich dicht gedrängten Lebensphase, in der Berufseinstieg, Partnerfindung und Familiengründung von den Paare bewältigt werden müssen.
Wenn sich unter diesen Bedingungen Frauen ganz bewußt für Kinder entscheiden, deren Kinderwunsch bekanntlich national wie international über dem Niveau der Männer liegt (vgl. HBF 28.11.07), ist es nachvollziehbar, daß sie die im Vergleich zu früher deutlich kürzeren  Familienauszeiten möglichst vollständig für sich ausschöpfen möchten. Unterm Strich würde damit die staatlich verknappte Familienzeit die Bereitschaft zur partnerschaftlichen Rollenaufteilung bei der Kindererziehung in den Familien senken anstatt zu erhöhen.    

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Zum Thema siehe auch:

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