„Einwanderungserfolge“ feiern,
statt mühsame Nachwuchspflege beharrlich einfordern
– Medien unter Existenzdruck lassen thematischen Tiefgang schwinden
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HBF-AKTUELL Tübingen 04. Juni 2014, erstellt 17:50 Uhr, Stand 21:32 Uhr
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Gestern hat der Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung seine nicht ganz taufrischen Erkenntnisse (vgl. z.B. HBF Mai 2014 und HBF Juli 2013) zur Einwanderung und Integation unter großer medialer Anteilnahme (HPL) präsentiert. Darin attestierten die Berliner Forscher/innen Deutschland, endlich “auf dem Weg zum modernen Einwanderungsland” zu sein (HPL). Gerade mit Blick auf die Schrumpf-Alterung sei dies eine willkommene Entwicklung, da sie zur demographischen Verjüngung der Bevölkerung beitrage (HPL). Tatsächlich, so stellte der Bonner Politikprofessor und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Demographie, Tilman Mayer, gestern in einer öffentlichen Stellungnahme richtig, unterscheide sich Deutschland weiterhin in einem zentralen Punkt vom demographischen Geschehen in den klassischen Einwanderungsländern (HPL – siehe dazu auch: HBF Mai 2014). Daher sei es nicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung keine echte Demographiewende anstrebe (HPL).
Offenkundig ist dieses Bedürfnis auch in den Medien nicht besonders ausgeprägt, da sie die wiederholten und aktuellen Warnungen von Experten und Verbänden über die eklatante Vernachlässigung des einheimischen Nachwuchses (HPL) kaum für berichtenswert und politisch rechenschaftspflichtig halten. Dies dürfte wohl auch dem existenziellen Druck geschuldet sein, dem sich laut einer aktuellen Repräsentativumfrage, immer mehr Redaktionen ausgesetzt fühlen (HPL).
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HBF-VOLLTEXT
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Gestern hat der Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung seine nicht ganz taufrischen Erkenntnisse zur Einwanderung und Integation unter großer medialer Anteilnahme präsentiert:
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Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung Pressemitteilung Berlin, 03. Juni 2014
AUF DEM WEG ZUM EINWANDERUNGSLAND
Unter dem Titel „Neue Potenziale“ hat das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung eine Studie zur Lage der Integration veröffentlicht. Darin begrüßen die Autoren die aktuell starke Zuwanderung Hochqualifizierter aus dem Ausland und warnen gleichzeitig vor den Folgen verpasster Integration.
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Der Spiegel 02.06.2014, Nr.23, S. 38
Integration
„Besser als Einheimische”
Demografieexperte Reiner Klingholz, 60, schwärmt von einer neuen Generation Einwanderer. Ohne sie seien Firmen nicht überlebensfähig.
SPIEGEL: Herr Klingholz, Sie weisen in Ihrer Studie „Neue Potenziale” auf ein Paradox hin: Deutschland entwickelt sich zum Einwanderungsland*. (…)
* Das Berlin-Institut stellt seine Studie „Zur Lage der Integration in Deutschland” am Dienstag dieser Woche vor.
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Die Welt 04.06.14 S. 1
Magnet Deutschland
Das Land boomt – auch wegen immer besser qualifizierter Zuwanderer
Stefan von Borstel
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SÜDDEUTSCHE ZEITUNG vom 04.06.2014
Zuwanderer oft gut ausgebildet
Studie: Kinder von Gastarbeitern aber häufig ohne Schulabschluss
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Zum Thema
• Höhere Qualifikation der Zuwanderer als die einheimische Bevölkerung – in: HBF 21.05.14
• Anhaltende und zum Teil verschärfte Integrationsprobleme und Bildungsnachteile der “Gastarbeiter”-Kinder hat der Sachverständigenrates für Integration und Migration bereits im Juli 2013 ausführlich in einem Gutachten dargestellt – siehe dazu: HBF 21.07.14
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In ihrer neuen Einwanderungs/Integrationsstudie attestieren die Berliner Forscher/innen Deutschland, endlich “auf dem Weg zum modernen Einwanderungsland” zu sein. Gerade mit Blick auf die Schrumpf-Alterung sei dies eine willkommene Entwicklung, da sie zur demographischen Verjüngung der Bevölkerung beitrage:
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Der Spiegel 02.06.2014, Nr.23, S. 38
Integration
„Besser als Einheimische”
Demografieexperte Reiner Klingholz, 60, schwärmt von einer neuen Generation Einwanderer. Ohne sie seien Firmen nicht überlebensfähig.
(…)
SPIEGEL: Kann Einwanderung den demografischen Wandel stoppen?
Klingholz: Nein, aber abfedern. Migranten kommen zwar meist im Alter zwischen 20 und 30 Jahren ins Land, haben im Schnitt etwas mehr Kinder als die Einheimischen und verjüngen damit die Bevölkerung. Aber auch sie werden alt, und nach etwa einer Generation sind die Kinderzahlen auf das hiesige niedrige Niveau abgesunken.
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Tatsächlich, so stellte der Bonner Politikprofessor und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Demographie, Tilman Mayer, in einer öffentlichen Stellungnahme gestern richtig, unterscheide sich Deutschland weiterhin in einem zentralen Punkt vom demographischen Geschehen in den klassischen Einwanderungsländern:
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F.A.Z., Dienstag den 03.06.2014. Leserbriefe, S. 6
EINWANDERUNG UND GEBURTENRATE
Die OECD-Studie zum Einwanderungsland Deutschland wirft Fragen auf, ob diese Einschätzung, Einwanderungsland zu sein, wirklich im internationalen Vergleich so einfach zutrifft (F.A.Z. vom 21. Mai). Schaut man sich die Entwicklung der Geburtenzahlen in klassischen Einwanderungsländern an, so zeigt sich überall und eben nicht in Deutschland, dass selbstverständlich neben der Einwanderung die Geburtenentwicklung sozusagen positiv ausfällt, das heißt mehr Geborene als Gestorbene zu verzeichnen sind, was in Deutschland großzügigerweise übersehen wird. Dabei ist es ganz einfach so, dass die Einwanderung in Einwanderungsländern auf eine demographische Struktur trifft, die dafür sorgt, dass beide Prozesse, Migration wie Fertilität, sich ergänzen können. Und das seit Jahrzehnten.
Umgekehrt in Deutschland: Seit vier Jahrzehnten leben wir mit einem Überschuss an Gestorbenen und mit einer Reproduktionsrate, die ein Drittel unter dem Erhalt der Bevölkerung liegt. Um es markant auf den Punkt zu bringen, sei formuliert, dass wir, wenn wir derartig stark von der Zuwanderung leben, damit von reproduktiven Leistungen anderer Länder profitieren – ohne gleichzeitig selbst für diese reproduktive Leistung im eigenen Land ausreichend gesorgt zu haben. Demographiepolitisch gesehen, ist dieser asymmetrische Prozess für Deutschland leider charakteristisch.(….)
Professor Tilman Mayer, Rheinbreitbach
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Zum Thema siehe auch:
• Zur tendenziell niedrigeren Geburtenrate der akademischen Einwanderer nach Deutschland im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung – siehe: HBF 23.05.14)
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Angesichts dieses “asymmetrischen Prozesses” in der Bevölkerungsentwicklung ist für Tilman Mayer nicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung keine echte Demographiewende anstrebe:
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Dass die deutsche Gesellschaft diese Entwicklung einfach hinnimmt, stellt eine unerklärliche Herausforderung dar. Denn mit dieser asymmetrischen Figur oder Struktur sind wir nicht zukunftsfähig. Wir, Politik wie Gesellschaft, müssten uns längst um eine Demographiewende kümmern. Die Demographiestrategie der Bundesregierung versagt hier vollkommen, wenn überhaupt von ihr noch die Rede sein kann. Sich darum zu kümmern, warum es zu diesem Nachwuchsmangel kommt, wäre die erstrangige Aufgabe. Die Botschaft, Deutschland sei Einwanderungsland, dürfte dagegen dazu führen, dass demographiepolitisch weiterhin ein Nichtstun angesagt ist.
Die Mütterrente damit zu rechtfertigen, dass sie auf vielen Parteitagen der CDU gefordert worden sei, so – wenig einfallsreich – der Bundesfinanzminister, belegt das argumentative Armutszeugnis der Regierung. Mütterrenten sind generationenvertraglich bestens begründbar, aber man müsste das auch kommunizieren. Aber demographiepolitisch ist ex officio in der GroKo niemand zuständig, kümmert sich niemand um diese existentielle Frage. Und somit nicht darum: zusammensehen, was zusammengehört: Zuwanderung, Geburtenrate, Generationenvertrag usw.
(aus: dto)
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Ganz im Gegensatz etwa zur japanischen Regierung, die dem Land der demographisch besonders schnell untergehenden Sonne mit energischen Maßnahmen endlich eine Trendwende bescheren will:
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Faz.net 02.06.2014
Regierungsprogramm
JAPAN ARBEITET AN DER DREI-KINDER-FAMILIE
Schrumpfung und Alterung gefährden Japans Wohlstand. Darum will die Tokioter Regierung es japanischen Frauen schmackhaft machen, wieder mehr Nachwuchs zu bekommen. Drei Kinder pro Paar werden quasi zum Staatsziel erhoben.
von Carsten Germis, Tokio
(…) Der seit Jahren anhaltende demographische Trend – Japan ist das Land mit der weltweit niedrigsten Geburtenrate unter den Industrieländern – müsse wieder gedreht werden, heißt es in dem Entwurf. (…)
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und HP-PLUS
Hierzulande ist allerdings auch in den Medien das Bedürfnis nach einer umfassenden Demographiewende nicht besonders ausgeprägt. So scheinen sie etwa die wiederholten und aktuellen Warnungen von Experten und Verbänden über die eklatante Vernachlässigung des einheimischen Nachwuchses kaum für berichtenswert und politisch rechenschaftspflichtig halten. Der Start des 15. Kinder- und Jugendhilfetags in Berlin (3.-5. Juni) ist beispielsweise dem Deutschlandradio ein Interview mit der Veranstalterin über eine dabei veröffentlichte, alarmierende Studie wert:
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DeutschlandRadio Kultur, 03.06.2014
Chancengleichheit
“Bildungsarmut wird weitervererbt”
Forscherin fordert mehr Geld für Kinder und Jugendliche
KARIN BÖLLERT im Gespräch mit Gabi Wuttke
Mehr als 32 Milliarden Euro werden jährlich für die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland ausgegeben. Dennoch geht die Schere zwischen bildungsfernen und bildungsnahen Kindern immer weiter auseinander, sagt die Forscherin Karin Böllert.
Gabi Wuttke: Wie können die Jüngsten in unserer Gesellschaft gestützt und geschützt werden? Bundespräsident Gauck wird es uns heute sagen, wenn er in Berlin den Deutschen Kinder- und Jugendhilfetag in Berlin eröffnet. Wir schicken seinen Worten jetzt voraus: Für ein Drittel des Nachwuchses sah es in Deutschland noch nie so düster aus wie heute. Warum? – Das kann Karin Böllert erklären. Sie ist Professorin für Erziehungswissenschaften in Münster und hat als Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe die Studie erstellt, die zu diesem vernichtenden Urteil kommt. Schönen guten Morgen, Frau Böllert.(…)
(….
10.03.2014 | AKTUELL
Studie der Bertelsmann Stiftung – Alleinerziehende in der Finanzfalle
Studie zeigt Benachteiligungen in verschiedenen Rechtsbereichen
14.01.2014 | ORTSZEIT
Appell – Kinderhilfswerk fordert Programm gegen Kinderarmut
Mehrheit würde dafür höhere Steuern akzeptieren
06.12.2013 | DOSSIER
Wer einmal aus dem Blechnapf frisst …
Über Kinderarmut in Deutschland
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Anders als bei der Einwanderungs/Intergrationsstudie des Berlin Instituts ist in den Leitmedien nichts (Genaueres) zu dieser Expertise des Kinder- und Jugendhilfetags zu lesen. Vor allem sucht man bei der “vierten Gewalt” vergeblich nach konkreten und beharrlichen Forderungen an die Politik, die sattsam bekannten Mangelzustände für immer mehr Kinder- und Jugendliche systematisch und wirkungsvoll zu beseitigen:
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Paritätischer Wohlfahrtsverband 04.06.2014
Deutscher Kinder- und Jugendhilfetag:
Paritätischer legt eigenes Konzept zur Reform des Bildungs- und Teilhabepaketes vor
Als komplett gescheitert kritisiert der Paritätische Gesamtverband das vor über drei Jahren eingeführte Bildungs- und Teilhabepaket für benachteiligte Kinder und Jugendliche. Anlässlich des aktuell in Berlin stattfindenden 15. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetages legt der Paritätische ein eigenes Alternativkonzept zum Bildungspaket vor. Statt des bestehenden bürokratischen Gutscheinsystems, das hohe Hürden für die Inanspruchnahme erzeuge, schlägt der Verband die Einführung eines einklagbaren Rechtsanspruchs für alle Kinder auf Angebote der Jugendarbeit vor.
(…)
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siehe dazu auch:
SWR2 Wissen 24.10.2012, 17.04 Uhr
Familien im Notstand
Kinderarmut in Deutschland
Jedes siebte Kind in Deutschland lebt in Armut und das seit Jahren. Der Wille in Politik und Gesellschaft fehlt, alles, was möglich ist, für alle Kinder zu tun. Das halbherzige Bildungspaket der Familienministerin ist gescheitert. Hinzu kommt die steigende Jugendarbeitslosigkeit in der Eurokrise. Die Frage nach einer Perspektive für junge Menschen wird immer lauter. Zum Glück gibt es helfende Organisationen und ehrenamtlich Engagierte.
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Die wachsenden Defizite der Medien bei der thematischen Prioritätensetzung dürften wohl auch dem existenziellen Druck geschuldet sein, dem sich laut einer aktuellen Repräsentativumfrage, immer mehr Redaktionen ausgesetzt fühlen:
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F.A.Z., Mittwoch den 04.06.2014 Medien 13
Journalisten unter Druck
Redaktionen schrumpfen, Repressionen nehmen zu
60 Prozent der Journalisten aus Lokal-, Politik- und Wirtschaftsredaktionen haben schon Eingriffe von außen in ihre Berichterstattung erlebt – zwei Drittel davon sogar mehr als einmal. Das ergab eine Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach, deren Ergebnisse dessen Geschäftsführerin Renate Köcher am Dienstag in Berlin vorstellte. Das zentrale Thema sei dabei wirtschaftlicher Druck, sagte Köcher auf einer Veranstaltung des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und der Bundeszentrale für politische Bildung: „Die große Mehrheit vor allem der Lokaljournalisten hat dies schon selbst erfahren.“
Beeinflussungsversuche gingen vor allem von Unternehmen, Lokalpolitikern, aber auch Bürgerinitiativen aus. Die mehr als 400 befragten Redakteure – viele davon in leitender Position – sähen die wirtschaftliche Lage der Branche und den Zeitmangel bei der Recherche in schrumpfenden Redaktionen als ihre größten Probleme, berichtete Köcher weiter. Das Internet habe außerdem zu einer Beschleunigung der Berichterstattung geführt. (…)
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weitere Einzelheiten zur Studie bei HP-PLUS
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Zum Thema siehe auch:
Populäre Irrtümer zur Demographie: Warum Deutschland seinen Kinderschwund nicht stoppt (Stichwort “Einwanderung”) – SWR2-Vortrag von K. Petropulos, 03. Oktober 2013
HBF-Themen-Archiv “Einwanderung/Integration”
HBF-Themen-Archiv “Sparen an Kindern und Jugendlichen”
HBF-Themen-Archiv “Presse / Medien / Journalismus”